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ThemenFoto/ByteBilder–(neu)–Ordnungen
Bilder–(neu)–Ordnungen. Podiumsgespräch mit Jörg Sasse, Dieter Daniels und Susanne Holschbach (Transkript)
Jörg Sasse

http://mkn.zkm.de/themen/foto_byte/sasse/

Zeit im Bild

Holschbach: In der Wissenschaft ist die Beschäftigung mit dem ungeheuren Reservoir privater fotografischer Bilder immer noch ein Desiderat, d.h. niemand traut sich so recht daran; vor allem der Aspekt der visuellen Strukturen wurde bislang wenig behandelt. In Bezug auf Ihre Sammlung von Amateurbildern sprechen Sie von ›Zeitschichten‹. Meinen Sie damit, dass die Art des Bildes, des Aufnehmens oder die Technik sich unterscheiden? Mich würde in diesem Zusammenhang ein Zwischenschritt in Ihrer Arbeit interessieren: Können Sie sagen, was für Erkenntnisse Ihnen bei der Arbeit mit den Amateurbildern gekommen sind? Können Sie Zeitschichten definieren?

Sasse: Die Frage nach der Erkenntnis ist schön …Als ich diese Arbeit angefangen hatte, war mir nicht klar, dass mich das über längere Zeit beschäftigen würde. Das war nicht geplant. Für mich ergab sich jedoch eine Perspektive, um weiterzuarbeiten und es hat auch noch unheimlich viel Spaß gemacht! Möglicherweise wäre meine Laune ganz anders, wenn ich mir in jungen Jahren einen konzeptuellen Rahmen gesteckt und einThema ausgearbeitet hätte, womit ich vielleicht irgendwann am Ende gewesen wäre. Es wäre langweilig geworden und ich hätte mir was Neues ausdenken müssen. Bis auch das irgendwann zu Ende gewesen wäre. Das wichtigste aus der Sicht des Produzenten ist doch die Frage, warum macht man das und kann man damit alt werden? Oder hält das nur bis übermorgen? Meine Arbeit hat für mich so viel Perspektive, dass ich immer noch neue Sachen daran entdecken kann. Soviel zu diesem sonderbaren Begriff Erkenntnis. Die Frage nach den Zeitschichten ist schwerer zu beantworten; mit zunehmender Menge des Materials sind mir Differenzen zwischen den 60er und 70er Jahren beispielsweise in der Farbigkeit aufgefallen. Ich bin ja nicht als Analytiker daran gegangen, sondern ich habe die Unterschiede lediglich während meiner Arbeit mit den Bildern registriert. Man ist versucht, etwas zu formulieren wie: »Möglicherweise gibt es in diesem Jahrzehnt eine andere Farbigkeit als in jenem«. Aber dann merkt man schnell, dass die Farbigkeit auch von der Lagerung und von dem verwendeten Material abhängt und Bilder aus der gleichen Zeit wieder ganz anders aussehen können. Oder Material aus einem anderen Kulturkreis: Das kann ich nicht mal nach oberflächlichen Kriterien einordnen – die Kleidung ist mir völlig fremd, es stehen keine Autos herum, ich versteh die Schriftzeichen nicht. Man muss sehr vorsichtig mit solchen Zuweisungen sein. Vielleicht kann ich etwas behaupten, wenn ich noch 50 000 Bilder gesehen habe, keine Ahnung. In meinen Skizzen ist der Zeitfaktor, also das Gebundensein an eine Herkunfts- oder Entstehungszeit, allerdings oft präsent. Das finde ich sehr gut. Geschichte ist immer die Einschreibung von ausgewählten Dingen, die in einer Zeit passieren. Diese Einschreibung geschieht meistens aus zweierlei Gründen: einmal, um Geld zu verdienen, oder irgendwelche machtpolitischen Interessen liegen zu Grunde. Das heißt, dass Geschichte nie auf einem Level von Banalität eingeschrieben wird. Wenn jetzt irgendwelche Leute Zeitforschung beispielsweise über die 70er Jahre betreiben, nehmen sie den »Stern« zur Hand oder sehen sich Filme aus der Zeit an und greifen das heraus, was anhand von diesen Produktionen recherchierbar ist. Und sie glauben wirklich, auf diese Weise Erkenntnisse zu bekommen, wie es in der Zeit ausgesehen hat. Jemand, der damals mit offenen Augenherum gelaufen ist, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, weil das ja meistens hinten und vorne nicht passt. Diesen Weg halte ich für sehr fragwürdig. Angenommen, der Grossteil des Lebens auf diesem Planeten wird durch friedliche und stumpfe Banalität ausgemacht, dann ist das geschichtlich ziemlich unterrepräsentiert. Aber möglicherweise steckt ja ein Teil davon in diesen Tonnen völlig banal geknipster Fotos. 2002 wurden in Deutschland 5,3 Milliarden Papierabzüge produziert, das sind ungefähr 168 Bilder pro Sekunde, Tag und Nacht. Das war, bevor der Markt umkippte und mehr digitale Amateurkameras als analoge verkauft wurden. Wenn man jetzt hochrechnet, was heute jede Sekunde, jeden Atemzug an Fotos produziert wird, ist das ziemlich wahnsinnig. Ich bin kein Kulturhistoriker oder Wissenschaftler, der versucht diese Amateurfotografie zu subsumieren oder in eine Arbeit zu überführen. Aber ich denke mir dann: Irgendwas muss doch darin stecken! Millionen von Leuten können doch nicht irren! Irgendwas ist doch da dran! Sicherlich gibt es auf der einen Seite die Enttäuschung, dass ein Bild nicht das darstellt, was auf der anderen Seite der Kamera passiert ist – aber irgendwas anderes muss doch auch da sein, denn wenn man jedes Mal immer nur wieder aufs Neue enttäuscht wird, würde man es doch nicht immer wieder versuchen?!

Daniels: Auch in der Amateurfotografie wird in Zukunft die Bildproduktion auf Festplatten oder CD-Roms gespeichert werden. Wird nun die Zuweisbarkeit von Zeit und Materialbedingtheit schwieriger? Und wie kommen Sie selber an Ihr Material? Kaufen Sie CD-Romsammlungen oder Festplatten oder bleibt es bei vorgefundenen Abzugsmaterialien, die ja, egal ob sie nun digital oder analog hergestellt worden sind, doch wieder eine materielle Spur haben. Und hat nicht die digitale Alltagspraxis die früher auf einem avantgardistischen Status stehende digitale Bildbearbeitung ein bisschen überholt und in eine gesamte digitale Bildproduktion integriert?

Sasse:1995 habe ich das erste Mal bearbeitete Bilder ausgestellt. [1] Da hatte ich schon zwei Jahre mit der Technik gearbeitet. Meine größte Furcht war damals, dass man das von außen so wahrnehmen würde: Jetzt macht da einer was mit dem Computer. Ich finde das einen ganz langweiligen Aspekt; der Computer istmein Werkzeug, mit dem ich ständig arbeite. Ich hantiere mit diesem Gerät, ohne darüber nachzudenken. Und das ist ziemlich gut: Ich muss die ganzen Implikationen, die da drinstecken, nicht mehr mitdenken. Ich finde auch den Schritt gut, mit den Skizzen aus dem Rechner wieder an die Wand zu gehen. Die Skizzen könnte man gar nicht abziehen, weil sie als Fotos nicht existieren. Sie sind digital durchgearbeitet. Also gehe ich über eine digitale Ausbelichtung. In zehn Jahren wird das normal sein, weil es die herkömmliche Fotobelichtung nicht mehr geben wird oder nur noch gegen viel Geld von Spezialisten. Die Debatte analog-digital ist nach wie vor sehr stark aufgeheizt; aus meiner Sicht ist es eine Verschiebung, die lediglich auf einer technischen Ebene stattfindet. Dass jede technische Veränderung einen immensen Einfluss auf die Produktion von Bildern haben kann, will ich gar nicht ausschließen. Aber ich glaube nicht, dass, wenn es so etwas gibt wie das Essentielle oder Unbeschreibbare in der Fotografie, den Punkt also, der die Fotografie ausmacht – ich glaube nicht, dass sich das im Spannungsfeld analog-digital grundsätzlich verändern wird. Daniels: Ich meinte eigentlich, dass bei Bilddaten so etwas wie Alterungsprozesse von Farben oder durch Lagerungsverhältnisse nicht mehr möglich wären.

Sasse: Doch, doch! Unterschätzen Sie die Technik nicht! Meine erste Digitalkamera habe ich 1997 gekauft. Die konnte soviel wie ein Fotohandy heute und war im Farbumfang sehr eingeschränkt. Das war das Ergebnis einer Mischung aus schlechten optischen Bedingungen und der Umsetzung ins Digitale. Das hat sich sehr verändert. Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mich mit Standardisierungen und Farbräumen zu beschäftigen. Dann definierte auch mein Labor eine klaren Farbraum und begann, mit den verschiedenen Möglichkeiten von Belichtern zu arbeiten. Es gibt zwei Arten von Belichtern: einmal die Kathodenstrahlbelichter für den Massenmarkt, die billige Abzüge von Digitalbildern anfertigen und die Laserbelichter für den professionellen Bereich. Da gibt es nur zwei Hersteller: Durst, der die Lambdas produziert, und OCE, von dem sind die Lightjets. Die sind technisch gesehen relativ ähnlich, unterscheiden sich aber in Details: einer von beiden zeichnet viel besser in der Schärfe, weil er mit dem Laser näher amPapier ist. Es gibt nicht mehr den Unterschied in der Belichtung zwischen sehr groß aufgeblasen und sehr klein - was analog immer bedeutete, dass das Licht auf mehr Entfernung diffuser, also der Print flauer wurde. Das kann mit dem Laser nicht passieren. Die Aufnahme- und Belichtungstechniken und die damit verbundenen chemischen Prozesse mit ihren Einschränklungen im Farbraum oder ihren Besonderheiten ändern sich. Ich gehe davon aus, dass wir in zehn Jahren relativ genau sagen können: Das muss eine Belichtung sein, die Anfang des 21.Jahrhunderts gemacht worden ist.

Daniels: Wir haben die These diskutiert, ob sich die Amateurpraxis durch das Digitale verändern wird. Es wird möglicherweise mehr Bilder geben und vielleicht sogar bessere, was die Absicht des Fotografen betrifft, weil das Ergebnis kontrollierbarer wird. Macht sich das in ihrer Analyse oder ihrem Fundus bemerkbar?

Sasse: Ich bin sicher, dass die Qualität besser wird. Einen Tiefpunkt gab es Anfang bis Mitte der 1970er mit der Erfindung der Pocketkamera: auf 9x13 hatte man garantiert immer unscharfe Bilder. Das war wirklich ein qualitativer Tiefpunkt – zeitgleich machte sich allerdings die studierte Hippiegeneration mit dem Rucksack auf den Weg in die Welt. Es gibt aus der Zeit sehr anspruchsvolle Amateurfotos aus allen Gegenden der Welt. Die Leute haben teure Spiegelreflexkameras mit auf die Reise genommen und die Bilder liegen jetzt im Nachlass. Das Vorurteil »Amateurfoto« muss man also sehr differenziert betrachten. Bei der Frage nach dem Digitalen darf man auch das Internet nicht außer Acht lassen: man hat nicht nur die Möglichkeit, Bilder direkt zu kontrollieren, sondern es gibt auch so etwas wie Foto-Communities [siehe den Beitrag von Kathrin Peters: Sofortbilder, insbesondere den Abschnitt »cameraphone canada car cat« (Flickr)] im Netz, die gegenseitig ihre Bilder bewerten und diskutieren. Das führt zurück zu der Frage nach dem guten Bild! Wenn in den Medien oder in den Museen etwas aus dem Spektrum der Fotografie auftaucht, dann wird sich das auch im Amateurbereich widerspiegeln. Die Leute entwickeln eine Vorstellung davon, was ein gutes Bild sein könnte.

Arbeiten am Bild

Daniels: Wo passiert bei Ihnen die Arbeit am Bild? [2] Sie haben beschrieben, wie Sie bei der Arbeit mit derGroßbildkamera zum Beispiel durch die Korrektur der Perspektive die Arbeit am Bild vollziehen. Beim digitalen Bild passiert die Arbeit am Bild ja im schon existierenden Bild. Das hat sich von der Schnittstelle Welt-Kamera zu einer bildimmanenten Arbeit verlagert. Und damit befinden Sie sich auf einer Stufe, wie Malerei sie immer schon hatte.

Sasse: Ich weiß nicht, ob es wirklich hilfreich ist, zu fragen: Ist das nicht wie Malerei oder hat das nicht malerische Aspekte im Produktionsprozess. So eine Arbeit geht jenseits der klassischen Medienbegriffe viel mehr Allianzen ein. Aus dem Produktionsprozess gesehen spielt es natürlich eine Rolle, das ist sicher heute klar geworden; schon sobald ich in der Situation bin, mit dem Stift am Monitor etwas zu erfinden, passiert das im Sinne von illusionistischer oder realistischer Malerei. Aber anders gefragt: Wie viel Skulptur ist das? Ich habe Material und nehme etwas weg. Das ist ein Eingriff, der immer wieder vorkommt. Ich schneide etwas raus. Und dann muss ich das wieder erfinden, um die Lücke zu schließen. Das hat vielleicht mit Malerei zu tun. Die Ergebnisse, zu denen ich komme, behandeln aber grundsätzliche, künstlerische Fragen. Bearbeitungszeit und - aufwand sind bei den Bildern vollkommen unterschiedlich. Es gibt welche, die kann ich in drei Tagen durcharbeiten. Das ist sehr kurz. Ich hab eine Produktion von zehn bis zwölf Arbeiten im Jahr; eine Arbeit geht vielleicht aus 1000 durchgesehenen Amateurbildern hervor. Eine lange Arbeit kann schon mal bis zu drei Jahren dauern. Es ist ja nicht so, dass ich die Skizze einfach zum Tafelbild werden lasse – das ist ein langer Arbeitsprozess. Die Skizzen [3] entstehen auf dem Weg zu den eigentlichen Arbeiten hin, und dass sie vielleicht ein bisschen mehr sind, als nur die Vorarbeit, hat sich erst rausgestellt, als ich eine große Anzahl davon hatte. Ich fange also an, eine Skizze zu bearbeiten, weil ich meine, da könnte mehr drin sein. Da beginnt der Prozess. Entweder ich kriege nicht mit, was da drin ist und verrenne mich, dann schmeiße ich es irgendwann weg, oder ich komme an einen Punkt, wo ich nicht weiter weiß, und dann lass ich das angefangene Bild schon mal liegen und gehe nach einem Jahr wieder daran, das ist auch schon vorgekommen. Oder ich finde eine Form dafür, von der ich meine, dass sie für diese Bildbehauptung genau die richtige ist. Das wäreallerdings eine Form, die eben gerade nicht zu versprachlichen ist. Das Beiläufige, Spontane, Verkehrte – das räume ich eigentlich nicht aus den Bildern. Sogar bei den Tableaus gibt es ein paar Arbeiten, die auf dem fotografischen Zufall, der irgendwann mal ein paar Ebenen davor bzw. da drunter lag, basieren. Meine Entscheidungen sind tatsächlich visuell begründet und deshalb kann ich auch nicht soviel dazu sagen. Natürlich bin ich auch von Vorgesehenem und Vorwissen beeinflusst, aber dennoch versuche ich, Entscheidungen im rein Visuellen zu treffen. Das fertige Bild ist nichts weiter als eine Behauptung, vielleicht auch im Gegensatz zu den früheren Sachen, die sicherlich didaktischer waren.

Autorschaft und Speicherung

Daniels: Es gibt in Ihrer Arbeit verschiedene Modelle von Autorschaft: von den selbst fotografierten Bildern, wo die Autorschaft eindeutig ist, bis zu der Weiterverarbeitung von gefundenem oder gekauftem Material, wo eine Überlagerung der Autorschaft zustande kommt – spielt das für Sie eine Rolle? Sasse: Das wirft natürlich die Frage auf, wer wohl der Designer der Fontäne war, die Duchamp benutzt hat. Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll, aus meiner Sicht ist das –

Daniels: Sie sehen sich als Autor aller Arbeiten?

Sasse: Na ja, all die anderen wollten nicht mit mir hierher reisen – die sind nicht gefragt worden und mir auch nicht bekannt – Ich hätte sie gerne alle mitgenommen! Vielleicht kann ich dazu eine Anekdote erzählen: Ich habe einmal bei einer Firma in Frankfurt eine Arbeit vor Ort realisiert. Ich habe alle Mitarbeiter einer Etage angeschrieben und Ihnen erklärt, dass ich mit Amateurfotos arbeite und dass ich mich dafür interessieren würde, was sie für Bilder machen. Von 25 Leuten sind wirklich 12 gekommen; einer hatte drei Fotos dabei und einer 2000, auf jeden Fall furchtbar viele. Alle hatten eine ganz bestimmte Vorstellung davon, was Kunst sei. Und natürlich waren alle Vorstellungen unterschiedlich. Ich war nun in der Lage, ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufzubauen; sie haben mir ihre Bilder anvertraut und ich habe Bearbeitungen davon gemacht. Am Ende sind vielleicht eine oder zwei Arbeiten heraus gekommen, die ich fürmich nutzen konnte. Trotzdem habe ich in Abstimmung mit den Mitarbeitern alle Bilder gezeigt und es war oft so, dass sie ihre Fotos nach meiner geringfügigen Bearbeitung gar nicht mehr als ihre eigenen erkannt haben. Dadurch, dass ich zum Beispiel den Referenten weggenommen oder verändert hatte, war die ursprüngliche Zuordnung nicht mehr möglich. Diese Form von Wahrheitsbehauptung, die jedem Foto zu eigen ist, ist ja nichts anderes als die ziemlich konkrete Vorgabe einer Projektionsfläche. Es fühlte sich keiner irgendwie verbessert oder ausgenutzt – oder jedenfalls nicht, dass es mir zu Ohren gekommen wäre. Ich bin auch fein raus, weil ich die letzten Jahre fast ausschließlich mit Diamaterial gearbeitet hab, das ich erworben habe. So gesehen müsste mir erst mal einer das Original zeigen. Meine Originale sind in Auflage produziert, trotzdem unterscheidet sich jedes von dem anderen, was ziemlich schlimm ist. Es ist schon passiert, dass ein Gabelstapler in eine Transportkiste mit einem Bilder gefahren ist und es zerstörte. Es ist mir nicht gelungen, die Arbeit nachzuproduzieren, weil Kodak in der Zwischenzeit das Papier geändert hatte und es nicht mehr hinzubringen war. Das Papier war zu hart. Holschbach: Wie gehen Sie selbst als Künstler ganz konkret mit dem Problem der apparativen Vergänglichkeit um? Wie sichern Sie Ihre Bestände?

Sasse: Ich sichere Zwischenversionen meiner Bilder. Nachdem ich das erste Mal nach vielen Jahren des Arbeitens am Computer aus Versehen meinen Bildbearbeitungsordner gelöscht hatte – da waren drei Gigabyte Daten drin –, habe ich mehr Wert auf Back-ups gelegt. Ich habe ein redundantes Datenlager, das von den übrigen Daten örtlich getrennt ist. Aber lässt man die Daten, wenn die Arbeiten rausgehen, irgendwann verloren gehen? Die meisten von den Fotos, die jetzt analog belichtet sind, gehen auch irgendwann verloren und viele von den digitalen Bildern werden beim nächsten Festplattencrash auch wieder draufgehen.

Holschbach: Ich hätte noch eine Frage zu dem Komplex Datenbank. Ich finde es schön, dass man Ihre Bilder im Netz sehen www.c42.de und nach bestimmten Kategorien ordnen kann – aber nun ist das mit den Kategorien immer das Problem, dass ich die Bilder nur unter den Kategorien finden kann, unter denen sie vorher verschlagwortet wurden. Es gibt ja Versuche, Bildernach rein visuellen Kriterien, ohne Sprache, zugreifbar zu machen. Haben Sie sich damit mal beschäftigt?

Sasse: Als ich noch der Überzeugung war, dass meine Skizzen ins Internet müssen, habe ich mit Bewertungen von Relationen von Bildern experimentiert. Dazu habe ich zwei Bilder aufs Display gebracht und jeder Tester war aufgerufen, zu bewerten, ob die Bilder zusammenpassen oder nicht. Das funktionierte rein visuell, nicht sprachlich. Das Verblüffende war nun, dass bei der Auswertung der Daten – ich habe vier- oder fünftausend Bewertungen gesammelt – so etwas wie ein ›Common Sense‹ von völlig unterschiedlichen Leuten sichtbar wurde, oder wenigstens eine Tendenz. Das könnte irgendwann, wenn man damit weiterarbeiten würde, den Rückschluss darüber zulassen, ob es so etwas gibt wie ein kollektives Visuelles, das uns alle als Zeitgenossen vereint.

Holschbach: Haben Sie überlegt, Ihre Kategorien für einen interaktive Zugriff zu öffnen? Sodass man als Betrachter die Möglichkeit hätte, eigene Zusammenstellungen zu finden oder neue Kategorien zu bilden? Sasse: Technisch gesehen ist das kein Problem. Aber für mich sind diese Kategorien mittlerweile eher ein augenzwinkerndes Spiel mit Begriffen. Sie sollen auch nicht dazu dienen, sich meine Arbeit zu erschließen. Man könnte allerdings damit weiterarbeiten und sich ansehen, in welchem Bereich Hierarchisierungen stattfinden, welche Kategorien abstrakt, welche rein bildlich und welche deskriptiv sind etc. Wenn man über Fotografie spricht, ist die Falle unglaublich groß, darüber zu sprechen, was vor der Kamera war, und nicht darüber, was man auf dem Foto sieht, was vor einem liegt. Und da liegen ja Welten dazwischen.

© Medien Kunst Netz 2004