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ThemenKunst und KinematografieAuteurs
Künstler, Auteurs und Stars
Über menschliche Faktoren in kulturindustriellen Verhältnissen
Diedrich Diederichsen

http://mkn.zkm.de/themen/kunst_und_kinematografie/auteurs/

Pünktlich zum Oscar-Wochende erfand die New York Times eine neue filmwissenschaftliche Kategorie, den Arteur. Ein Arteur – ist das ein Wolpertinger der kulturellen Produktion? Ein Filmemacher, der ein Künstler ist, eine Künstlerin, die Filme dreht? Und was ist daran neu, möchte man fragen. Bildende Künstler, die Filme drehen, hat es seit Léger und Duchamp, Man Ray und Dalí gegeben, ebenso Filmer, die bildende Künstler an sogar Mainstream-Produkten beteiligt haben. Neu ist aber der Termin, der Anlass Oscar-Nacht: Mit der Nominierung von Javier Bardem in der Kategorie »Bester männlicher Hauptdarsteller« war die Möglichkeit in greifbare Nähe gerückt, dass ein solcher Arteur zumindest mittelbar am Gewinn eines Oscar, der höchsten Anerkennung des Mainstream-Kinos beteiligt gewesen wäre. Denn Bardem war der Hauptdarsteller in Julian Schnabels »Before Night Falls«, dessen zweiten Spielfilm und der notorisch unbescheidene Maler hatte vorher überall verkündet, dass Leute wie er – bildende Künstler, rauhe Kerle – das vermuffte und verrottete Hollywood-System retten, reformieren, auslüften.

1. Der Auteur

Der Auteur war vielleicht das letzte Modell eines – wie man heutzutage in Berlin sagt – alteuropäischen Künstlertypen, der spezifisch für die Kunst des Kinos und der Kinematografie stand. Die ihm zugrunde liegende Idee war die, dass es auch im Umgang mit einem riesigen ökonomischen, technischen und hierarchisch-sozialen Apparat möglich sei, eine individuelle Handschrift zu bewahren, ja dass der individuell-verantwortliche Anteil an einem Film und sei es noch das routinierteste Studio-Produkt der entscheidende, nämlich der künstlerische Anteil sei. Kunst in einem kategorialen Sinne konnte das Kino, so ein implizites Moment der »Politique des auteurs«, nur um den Preis einer Idee von Autorschaft sein. Und fast muss man die Umkehrung anhängen, Autorschaft musste sich durch Kunst, nun aber in einem qualitativen Sinne beweisen. Die Idee des Auteur verband also das strukturelle Moment der Autorschaft mit einem qualitativ urteilenden und normativ setzenden. So sind dann auch die Welten der bildenden Kunst – als Ort der legitime Künstler-Modelle validiert – und des mehr oder weniger industriell produzierten Kinos im Begriff des Auteurs miteinander verbunden. In ihm ist die Formel begraben, dass nur Autoren Künstler sein können – also in letzter Instanz für und aus sich heraus arbeitende und Kunst nur von Autoren stammen kann. So sehr also der Auteur auch in einer merkwürdigen Mischung aus normativer Forderung und Deskription – geboren wurde er ja in Filmbeschreibungen und Rezensionen – so sehr der Auteur in dieser Mischung aus Deskription und normativer Formel um 1960 als ein Gegenmodell gegen die industrielle Produktion gedacht war, so sehr erscheint er von heute aus gesehen auch als eine immens defensive Figur, ein letztes Bollwerk gegen Entwicklungen, die in den folgenden Jahren jedes Modell von Autorenschaft wenn auch vorübergehend erschüttern oder wenigstens relativieren sollte. Doch um 1960 war der europäische Künstler noch ein Einsatz, eine Forderung an die Industrie. Später sollten die kritischen Angriffe auf dieses Künstlermodell von der avantgardistischen und seine stille Abschaffung von der anderen, der industriellen Seite folgen. Damals aber diente der in den bildenden Künsten tätige und von ihren Mythen formulierte Künstler durchaus nochals ein Modell fürs Kino. Manny Farber nannte 1966 explizit Jackson Pollock als das Modell eines alleine ein Werk hervorbringenden Künstlers, den es im Kino noch nicht gäbe – dessen Stärke sei es gerade, das es immer wieder durch die überraschenden Leistungen und Fehler von Stars oder Technikern gerettet oder ruiniert werde. [1] Heute braucht stattdessen wohl eher die bildende Kunst vielleicht Modelle wie das des Auteurs, um das Verhältnis ihrer Akteure und Aktivisten zu heutigen Produktionsweisen zu reformulieren. Sie ist heute in einer ähnlichen Lage wie das Kino der Nouvelle Vague: durchaus interessiert an »industriellen« und technologisch entwickelten Arbeitsweisen, wie sie uns in dem neuen Genre der narrativen Installation etwa begegnen – aber natürlich auch nicht bereit, und nicht nur aus falschen eitel-subjektivistischen Gründen, den Ort der Autorschaft zugunsten von arbeitsteiligen Modellen ganz zu räumen oder trotz der Bereitschaft, die ganz andere Probleme adressierenden Standardtexte von Barthes und Foucault jederzeit bereitzuhalten, die Frage der Autorschaft produktiv neu zu diskutieren.

2. Gegenbilder Kunst und Kino

Es scheint indes eine Konstante der Nachkriegsmodernen und -(neo)avantgarden, dass Kino und Kunst sich immer wieder als Gegenbilder brauchen, um interne Differenzierungen benennen und operationalisieren zu können. Wenn also im Namen einer Tagung von »einem anderen Kino« und »einer anderen Kunst« die Rede ist, [2] könnte man womöglich immer noch glauben, dass das andere Kino durchaus dieselbe Kunst und die andere Kunst dasselbe Kino ergibt. Doch wahrscheinlicher ist dies: Wenn von einem anderen Kino die Rede ist, dann bezieht es sein Eines, sein Gegenmodell, vermutlich in den meisten Fällen von dem, was sich unter dem vorstellungsgesättigten Wort Hollywood zusammenfassen lässt. Hollywood als Ort der industriellen Produktion von Film, Hollywood als dem Namen für einen normierten Standard narrativen Kinos, Hollywood als der Ort, von dem aus eine imperiale und industrielle Produktion weltweit abweichende Kunst, Kultur und Politik vernichtet – gegen dieses Kino also ein anderes. Und vor allem dagegen dann auch eine andere Kunst: denn wenn Filmemacher immer wieder bei aller Gegnerschaft Hollywood auch immer als einModell, Filme zu machen, zur Kenntnis nehmen mussten, blieb es der Kunst unbenommen, ›Hollywood‹ bloß als Platzhalter einer Ideologie – ignorant – abzulehnen. Doch Hollywood war auch selbst immer wieder wenn nicht gar Bestandteil, so doch Gegenstand seines Gegenteils gewesen. Ja, man könnte nicht nur verschiedene Phasen, sondern womöglich unterschiedliche Gattungen des anderen Kinos danach unterscheiden, was sie in ihrem Anderssein dennoch von Hollywood gewollt haben – oder ob sie denn tatsächlich gar nichts davon wollten. Solche Fragen berühren natürlich auch die nicht totzukriegende und allgemeinere nach dem Verhältnis der verbliebenen Kunst zur so genannten Kulturindustrie. Dabei wird oft – und philologisch gesehen ist das gar nicht so unvernünftig – von einer Synonymie der Begriffe Kulturindustrie und Hollywood ausgegangen. Schließlich war das Hollywood der 1940er das Modell für den Begriff der Kulturindustrie bei seinen Urhebern und ich würde behaupten, dass man sogar aus dem diesen Begriff begründenden Text, aus der »Dialektik der Aufklärung«, ableiten kann, welche Filme die beiden Autoren ihrem Begriff zugrunde legen; nämlich New-Deal-Kommödien von Frank Capra und Megalomanisches von Cecil B. De Mille. Sie haben also die Kulturindustrie zunächst entweder als Ideologie (Capra) oder als Produktionsweise und vor allem Produktionsformat (DeMille) vorgefunden. Ich würde dem hinzufügen, dass es auch genau diese beiden Aspekte sind, auf die sich anderes Kino – oder andere Künste – in den meisten Fällen bezogen hat, wenn es auf Hollywood reagiert hat. [3] Mir geht es nun aber vor allem weniger um die verschiedenen historischen Formen der Kritik oder der Aggression gegen Hollywood, als um die verschiedenen Formulierungen eines Begehrens nach Hollywood und wie dieses Begehren eine andere Seite des Andersseins des Kinos und der Kunst hervorbringt. Meine These wäre, dass dieses Begehren fast immer etwas mit dem im Begriff des Auteur zu einem vorläufigen Kompromiss gekommenen Problemkonstellation zu tun hat – wenn man diese Konstellation denn etwas weiter fasst: als nämlich die Frage nach der Rolle der subjektiven oder meinetwegen auch menschlichen Funktion in industriellen und stark technologisch determinierten aber kulturell codierten Produktionsformen. Der Autorist, wie wir sehen werden, nur eine Möglichkeit, den subjektiven Rest anzugeben, andere würden ausgehen von den Zuschauern, Schauspielern und natürlich der Medientechnologie, die die Frage nach diesem Faktor je anders zu stellen, auferlegt. Wenn ich also vom Autor rede, dann nicht von einer problematischen und vielfach kritisierten metaphysischen Kategorie alter Ästhetiken, sondern pragmatisch und sozusagen postmetaphysisch von einer der subjektiven Stellen im arbeitsteiligen kulturindustriellen Produktionsablauf und den verschiedenen Formen, mit der diese Stelle und eben auch die anderen genannten subjektiven Faktoren konzeptualisiert werden könnten: Ich will vier Konstellationen beschreiben, vier Autorenpolitiken, in denen ein anderes Kino dem einen Kino die Frage nach dem subjektiven Faktor stellt.

3. Kenneth Anger

Mein erstes Beispiel wäre die Arbeit Kenneth Angers, der neben Maya Deren [4] und James Broughton schon chronologisch am Anfang jeder Nachkriegsgeschichte eines anderen Kinos stehen muss. Zwei Punkte gibt es bei Anger, die in diesem Zusammenhang interessant sind. Zum einen sein zentrales Thema, dass die normativ Rollenverhalten definierenden Hollywood-Stars nur in dem Maße heterosexuelle Normen setzen konnten wie sie homosexuell lebten. Dass es also einen Zusammenhang gibt zwischen einer – heute würde man sagen – zwangsheterosexuellen kulturellen Norm und zu deren Produktion notwendigen homosexuellen Schauspielern und Schauspielerinnen. Zwar ist dieses Thema nur in seinen Büchern, den beiden Bänden von »Hollywood Babylon«, explizit formuliert, es durchzieht aber auch seine Filme in einer übrigens durchaus ambivalenten Weise. Zum einen folgt es naheliegenderweise der Logik der Enthüllung: die Wirklichkeit, das Leben, die Authentizität der Darsteller sei das Gegenteil des heterosexuellen Männer- oder Frauenbildes, das sie verkörpern. Am Ende stünde die Lüge, die man Hollywood schon oft vorgeworfen hat, von Bert Brecht bis Otto Friedrich. Doch gerade diese Lesart Angers lässt sich wirklich leichter aus seinen Büchern gewinnen als aus seinen Filmen. Dort ist eher ein dialektisches Bündnis, das seine Dissidenz mit der Konformität des Hollywood der 1950er Jahre eingeht,stärker entfaltet als explizite Kritik. »Inauguration of the Pleasure Dome« etwa ist nicht zu Unrecht als die dunkle Version eines MGM Musicals beschrieben worden [5] – es braucht diesen Bezug aber. Nicht als ironisches Zitat, nicht als zu enthüllende Essenz oder zu invertierendes Simulakrum. Das MGM Musical und – vereinfacht gesprochen – die gesamte Hollywood-Normenproduktion, die technisch und künstlerisch entwickelte visuelle Produktion von Ideologie sind Anger Handhabe und Material für seine – von Aleister Crowley und anderen Okkultisten inspirierte – Vorstellung einer tieferen und wahreren menschlichen Natur, die sich nur darin erweisen kann, dass sie die industriell hergestellten Bilder auf deren eigenem Terrain übertrifft. Authentizität – die er als Überschreitung und Exzess denkt – entsteht durch die Überbietung eben der avanciertesten, teuersten Produkte der verhassten Lügen-Maschine. Er bleibt in seiner Arbeit eben nicht bei einer Schein/Sein-Dualität stehen, auf die er – zumindest vordergründig betrachtet – in seinen Hollywood-Babylon-Büchern besteht, sondern insistiert auf die Überbietung des Scheins. Man kann Anger vorwerfen, dass sein je und je satanistischer oder sozialistischer Individual-Anarchismus nur das Negativ eben der Industriemaschine darstellt, deren Konformismus er bekämpft. Aber seine Filme, vor allem die der 1950er, haben noch einen zweiten Bezug zu Hollywood. Wenn es das Wesen der Kulturindustrie ist, den Ort, von dem aus sie die Welt beschreibt und in Normen gießt, zu verbergen und eine ihrer wesentlichen ideologischen Produktionen eben genau das Verschleiern ihrer eigenen Partikularität und Lokalität darstellt, so hat Anger stets versucht, genau den Produktionsort von Kulturindustrie zu thematisieren. »Inauguration of the Pleasure Dome« ist fast so etwas wie ein Heimatfilm für den zu den Dreharbeiten nach Los Angeles zurückgekehrten Anger. Die Darsteller rekrutieren sich aus den Boheme-Cliquen, Subkulturen und Sekten- Freundeskreisen, mit denen Anger zu tun hatte, und die zur verdrängten Partikularität Hollywoods gehören wie die Homosexualität der leading men und leading ladies. »Puce Moment« (1949) nimmt Billy Wilders »Sunset Boulevard« (1950) auf einer Underground-Ebene vorweg. Denn Hollywood hat sich zwar immer schon auch in seinen regulären Filmen selbst dargestellt,auch kritisch. Doch all diese Kritik hat stets nur an dem Bild eines zwar harten und karrieristischen, aber ganz in der Produktion von sich selbst, den eigenen Talenten aufgehenden Milieus weitergestrickt. Im offiziellen Hollywood warf man sich zwar vor, böse zu sein – aber im Interesse der eigenen künstlerischen Selbstverwirklichung. Für Anger ist Hollywood eine Produktionsstätte, die auf Selbstverleugnung auf höchstem Niveau angewiesen ist. Auf diese, und durchaus als sozusagen ›perversen‹ subjektiven Faktor ist Hollywood aber angewiesen – an diesem Punkt setzt seine Arbeit an.

4. Jack Smith

Wenn Anger sich für die Lüge einerseits generell und den verleugneten Ort, die verleugnete Produktionsbedingung andererseits im besonderen interessiert und schließlich bei seinem Phantasma von der dunklen menschlichen Natur landet, dann hat Jack Smith und seine vielen vorübergehenden Verbündeten einen anderen Aspekt im Blick: ihn interessiert das misslingende kulturindustrielle Produkt als höchste und womöglich letzte Form künstlerischer Authentizität. In seinem klassischen Essay »The Perfect Filmic Appositeness of Maria Montez« [6] zeichnet Smith zugleich enorm klar und weit über sein spezielles Beispiel hinaus zutreffend Züge einer Ästhetik, die wir noch heute als entweder »Trash« oder »Camp« kennen und die nach wie vor, trotz aller Heimholung in eine domestizierte Welt der Ironie, als Ausgangspunkt einer jeden Antwort auf kulturindustrielle Omnipräsenz fungiert. Smith charakterisiert diejenigen, die in Maria Montez nur die schlechteste Schauspielerin der Welt sehen konnten – die sie zweifellos auch gewesen sei – als Anhänger einer Magie der bloßen Effizienz. Das Einzige was jemand, der von kulturindustriellen Produkten glaubwürdige Bilder verlangt, glauben könne, sei an das Wunder, dass ein Automotor nach einer langen Reise noch so gut funktioniert. Hollywood ist ein solcher Motor. Wer hingegen sieht, wie die ›machinery‹ der Filmfabrik daran scheitere, um Maria Montez herum einen vernünftigen Set zu bauen, während nur ein einziger ihrer Seufzer tausend Tonnen toten Gipses mit imaginativen Leben und Wahrheit fülle, erlebe eine andere Art der Magie. Diese Magie besteht darin, ihr bereitwillig zu glauben, ihrer Vision,an der alle um sie herum und wohl auch sie selbst scheitere. Die Unzulänglichkeit einer deplazierten in die Maschine versetzten Menschlichkeit ist hier die sinnliche Sensation, die allerdings nicht nur einen Menschen in der Maschine und dessen notwendiges Scheitern voraussetze, sondern auch einen empathischen Zuschauer. Denn ihre Vision – Montez ist für Smith eindeutig die Autorin ihrer Filme – sei ja noch nicht realisiert, Hollywood scheitere trotz Tonnen von Gips. Inmitten dieser vergeblichen Anstrengungen der Maschinerie muss jemand ihr Glauben vorschießen, ja man muss ihr Glauben schenken – dann setzt die Zauberei, die magic ein, die uns ihre Vision schauen lässt. Die Größe und reine Quantität des verlogen aufgetürmten Materials erhöht den spirituellen Mehrwert, den wir bekommen, wenn wir uns entschließen, Maria als der Maschine um sie herum entgegengesetzt zu erkennen. Das geht aber nur, wenn der Zuschauer – hier Smith – zu einem Produzenten anderer Art wird, einem, der nicht investiert, sondern aus freien Stücken Liebe und Aufmerksamkeit vergibt. Bei Smith ist Hollywood kein Ort der Lüge und auch keiner der Wahrheit. Auch für Smith ist Hollywood ein Ort, der mechanische Normen produziert. Im besten Falle, von der Warte eines Spießers, dessen Idee von Magie von der »most inevitable execution of the conventional pattern of acting« befriedigt würde, tut Hollywood dies mit der Zuverlässigkeit eines langlebigen Automotors. Gegen diese Zurichtung, ein Wort, das Smith nun nie gebraucht hätte, aber ich, gegen diese Zurichtung der menschlichen Subjekte auf beiden Seiten der Filmproduktion wie der Rezeption helfe nur diese ganz unökonomische Bereitschaft einer inmitten des Systems Scheiternden zu glauben, ja sie zu verehren – als skandalös gesetzte religiöse Unmittelbarkeit. Smith sollte bekanntlich noch so manchen filmischen Altar für Maria Montez bauen, insbesondere in seinem bekanntesten Film »Flaming Creatures« (1963) repräsentiert der auch von Warhol Filmen bekannte Mario Montez (hier noch unter dem Namen Dolores Flores) eine andere Figur, die für Smith Idee von »perfect filmic appositeness« steht, nämlich Marlene Dietrich in Josef von Sternberg »The Devil is a Woman« – es muss also nicht eine B-Film-Figur sein. Ohne allzu genau auf Smiths Werk hier eingehen zu wollen und zu können, sei doch gesagt, dass es sichlohnt darauf zu achten, wie er in seinen Filmen nicht nur die Wahrheit, die sich aus dem Scheitern an den Konventionen ergibt, zu radikalisieren versucht, sondern auch, wie er sich alle Mühe gibt, die »Tonnen von Gips«, die Hollywood vergeblich verbraucht, seinerseits aufzufahren und sozusagen nicht nur dem letztlich subversiven und damit wahrhaftig gewordenen Scheitern der Maria-Montez-Vision seine Reverenz zu erweisen, sondern eben auch dem Scheitern der Maschine, der Industrie beim Versuch ihre stumpfe Mechanik auf Kunst auszudehnen – und dieses Scheitern ist wiederum auch konstitutiv für das »gelungene Scheitern« der B-Film-Diva. Smith verlangt also von uns, dass wir umgekehrt auch seiner natürlich nicht gelingenden Aufführung industriellen Scheiterns ebenso glauben, wie er an Maria geglaubt hat; dass wir selbst mehr Scheitern sehen, als eigentlich zu sehen ist. Man kann Smith sicher nicht auf die Formel des Scheiterns als Chance reduzieren, aber er stellte tatsächlich die erste vollständig entwickelte Ästhetik vor, die weitgehend von der Vergeblichkeit industrieller Kulturproduktion wie auch des Versuches ihr zu entgehen lebt. In der der Müll, die aus einer ganz an Warenproduktion orientierten Kulturindustrie unnütz weil wertlos gewordenen materiellen Reste, nicht nur zu Exilen oder Asylen einer Wahrheit der Kunst geworden waren, sondern zu deren einzig möglichem Ort. Sein Fan, Andy Warhol, der für die nächste Konstellation stehen soll, hat aber bei aller Nähe ein entgegengesetztes Modell entwickelt.

5. Andy Warhol

War bei Smith die Star-quality von Maria Montez in ihrem Scheitern lokalisiert, in ihrer in der Umgebung von machinery unpraktisch grandiosen und nicht instrumentalisierbaren Visionen, so ist Star-quality für Warhol so etwas wie ein Überschuß, den Hollywood hergestellt hat und der über das, was bei einem Film planbar und kalkulierbar war, und zwar im kommerziellen wie im künstlerischen Sinne, hinausschießt. Star-quality war eine transzendente in den Personen lokalisierbare Eigenschaft, die genau wie bei Smith mit der künstlerischen Leistung der Schauspieler nichts zu tun hat, sich aber weniger im Scheitern am Industriestandard zeigt als imÜbertreffen und Überhöhen des Standards. Dieser Unterschied zwischen Smith und Warhol mag hier als klein oder akademisch empfunden werden, schließlich haben beide sich nicht um konsistente theoretische Formulierungen bemüht und schließlich haben beide den gewissermaßen romantischen Moment gesucht, wo das Individuum für die kommerzielle Maschine inkommensurabel wird. Doch ist dieser Unterschied nicht nur eine Frage der Formulierung. Dass Smiths Ästhetik auch auf ein praktisches, fortgesetztes Scheitern an der Forderung Produkte abzuliefern, Werke zu vollenden oder auch nur eine Performance irgendwann beginnen und enden zu lassen, hinauslief, Warhols dagegen auf eine brummende Produktivität, hat sozusagen auch »philosophische« Ursachen. Wenn Smith eine fast negativ-dialektische Ästhetik des Trash aus der Beobachtung und der Faszination einer gewissen Sorte Hollywoodfilm entwickelt, dann sieht Warhol eher foucauldianisch in Hollywood vor allem eine besondere Produktivität, ein Dispositiv, das eine neue Form menschlicher Produktion positiv hervorbringt, die über das, was die Filmindustrie planend und profitgierig herbeiführen wollte, weit hinausgeht: das Hervorbringen und Hervorkehren menschlicher Besonderheiten, die nicht in irgendeinem Nutzen für einen Film und dessen Plan aufgingen. Ja, Besonderheiten, die wie von alleine sich ergeben aus dem Aufeinandertreffen gewisser, geeigneter menschlicher Subjektivität auf eine industriell konfigurierte, psychologisch-technologisch extrem reizbare Apparatur. Konsequenterweise wollte Warhol genau diese Eigenschaft in seiner Factory weiterproduzieren, nur konzentrierter auf dieses Wesentliche, die Star-quality, und im Bewusstsein der Tatsache, dass er Leute kannte, die mehr Star-quality hatten, als die üblichen Schauspieler, die ja zunächst noch nach konventionellen Schauspielerkriterien ausgesucht worden waren. Das könnte man sich doch genau wie Story, Kulisse etc. sparen und von Anfang an nur noch den Überschuß produzieren. Voraussetzung der Star-quality war indes besagte, nicht nur technisch beschreibbare Apparatur, die sie hervorbrachte. Zwar ist diese ein Überschuß der Industrieproduktion, gleichwohl von deren Dispositiven abhängig, so wie Maria Montez von demvergeblichen Gips. Warhols Idee des Filmemachens basierte auf einer Idee der industriellen Produktion. Insofern hat Anette Michelson durchaus recht, wenn sie in den frühen Jahren der Factory eine unmittelbare Antwort auf kulturindustrielle Praktiken sieht. Ja, Sie geht soweit, die Factory zu einer parodistisch-karnevalistischen Aufführung von Kulturindiustrie im Sinne Bachtins zu erklären, wenn nicht zu verklären. Sie folgt allerdings allen Historikern der Factory, allen voran Warhol selbst, wenn sie erklärt, nach dem Attentat sei alles nicht mehr dasselbe gewesen und der böse Paul Morrissey hätte dann richtige Kulturindustrie werden wollen. Ich denke, dass man diesen Bruch zumindest für die Filmproduktion in der Factory nicht überbewerten sollte. Das Prinzip Warhols als Regisseur oder Filmemacher war von jeher, sich soweit wie möglich zurückzunehmen und wie man aus vielen berühmten Aphorismen weiß, mit der Maschine zu verschmelzen. Man erkennt den Sinn der Maschinenmetapher: sie erlaubt es, den technologischen Stand mit dem der ökonomischen Entwicklung zu verknüpfen. Warhol wollte – zugespitzt gesagt – persönlich die anonyme industrielle Produktionsweise im wahrsten Sinne des Wortes verkörpern, die Industrie und die Apparatur inkorporieren – und dadurch rationalisieren. Den Weg zur Star-quality wollte er doppelt abkürzen, indem er das Verhältnis (industrieller) Apparat – Star auf technisch und ökonomisch unaufwendigere, sozial-bohemistisch begründete Produktions-Konstellationen übertrug. Die Factory sollte eine Produktionsstätte sein, die industriell Star-quality herstellte, nur sollten die special effects und Illusionismen nicht qua Technologie, sondern qua Soziologie hervorgebracht werden. Seine Lieblingsbeschäftigung bestand folgerichtig im Delegieren, im Laufen lassen. Sichtbare Eingriffe durften andere machen: Ronald Tavel etwa schrieb Drehbücher oder gab aus dem Off Regieanweisungen. Schauspieler wie etwa Jack Smith bei seiner Rolle in »Camp« (1965) oder Superstars trafen sichtbare, erkennbare Entscheidungen, beeinflußten Prozesse. Es war nur logisch, dass er sich irgendwann ganz aus der Produktion heraushielt und auch noch die konventionellen in Paris erkämpften Orte der Autorschaft verließ und delegierte – an eben PaulMorrissey. Warhols Kommentar zum metaphysischen Autorbegriff der bürgerlichen Tradition ebenso wie zu den kulturindustriellen Verhältnissen, die ihn falsch abgeschafft hatten, bestand ja gerade darin, dass er auch dann noch der Autor blieb, als er alle Funktionen abgegeben hatte, die im Kompromissbegriff des Auteurs Autorschaft noch an eine schon bestehende Funktion im Gefüge der industriellen Filmproduktion binden wollten, an den Regisseur. Nein, Autorschaft ließ sich aus dieser Produktionsform nicht mehr ableiten, Autorschaft konnte nur überleben, wenn man direkt die metaphysische Dimension des Begriffs und seiner Tradition adressierte – wie es zur gleichen Zeit als Warhol an Morrissey delegierte auf ihre Weise die Konzept-Kunst versuchte.

6. Der »Arteur«

Wahrscheinlich hat niemand eine so radikale Antwort auf das Problem gegeben, das im Kino zur Formel des Auteur geführt hat und das in der Kunst erst in der Gegenwart mit einer neuen technologischen und ökonomischen Realität umgehen muss. Probleme des Kinos sind in doppelter Hinsicht in der bildenden Kunst angekommen: zum einen in einer verstärkten Reflexion auf das Medium Kino/Film im Zentrum der bildenden Kunst, die heute, wo der eherne Medienverbund Filmrolle/Kinoraum digitalerweise auch technologisch ökonomisch in Frage gestellt ist, sich an der Bildung einer Metatheorie des bewegten Bildes beteiligt. Zum anderen betreffen die Probleme, die zur Formel des Auteur geführt haben, heute das Innere des Kunstzusammenhangs: Künstlerische Produktionen werden zunehmend abhängig von privaten Geldgebern und Sponsoren, Producers und Executive Producers. Phänomene wie der Art Production Fund der Yvonne Force, der Kunst produziert – nominell auf einer Non-Profit-Ebene, aber tatsächlich funktioniert wie die Frühform eines Hollywood-Studios, sind neue Realitäten, die die Frage nach Autoren und Urhebern auf eine neue Weise stellen – wie auch an vielen anderen Stellen in der digitalen Welt. Dass es sich bei dieser Dimension von Autorschaft nicht um die metaphysische philosophische Seite des Begriffs handelte, sondern um eine kulturpolitische praktische, auf deren angemessene Klärung zu bestehen auchheißen kann, Rechte gegenüber einem Apparat zu vertreten, wird in der immer häufiger anzutreffenden Konfusion um die verschiedenen Ebenen einer Diskussion um Autorschaft häufig übersehen, obwohl schon die Headline der Originaldiskussion »Politique des auteurs« darauf recht deutlich verwiesen hat. In diesem Sinne ist der »Arteur« ein Vorschlag an die Kunst, sich eine ähnliche Position im Produktionsprozess für die Autonomie frei zu halten und den Rest den arbeitsteiligen Abläufen und der ökonomisch orientierten Organisation von Produktionsabläufen zu überlassen. Dabei ist eine der Besonderheiten digitaler Produktion ja gerade die Überflüssigkeit des Apparats: Shirin Neshat, das andere Beispiel der Times für einen Arteur, braucht zumindest in der Post-Production sicher nicht mehr Helfer und Assistenten als ein konventioneller Künstler. Das boomende Genre der narrativen Video-Installation sieht aufwendiger und industrieller aus, als es produziert sein muss. Dennoch hat, nicht zuletzt durch den – auch künstlerischen – Erfolg von Künstlern wie Matthew Barney, Douglas Gordon, Stan Douglas [7] , Bruce Yonemoto und vielen anderen eine Praxis sich etabliert, die das Selbstverständnis des Auteurs nahelegt – auch wenn die meisten Genannten noch so wenig wie möglich delegieren und jede denkbare Endkontrolle beanspruchen, lesen sich ihre Nachspänne inzwischen zuweilen länger als mittlere Spielfilme. Die aktuellen Black-Box/White-Cube-Fusionen haben sich jedenfalls in vielen Fällen mit dem alten Modell des Auteurs als Fluchtpunkt ihrer Praxis längst abgefunden. Sie problematisieren die industrielle Produktion allenfalls als ein Problem des technischen Kontrollverlustes.

7. Julian Schnabel

Nun, Julian hat keinen Oscar gewonnen, auch Javier nicht. Doch immerhin ist er der erste bildende Künstler geworden, der es fast vierzig Jahre nach Warhols gescheitertem Versuch, mit seinen Horden in Hollywood einzufallen, geschafft hat, stolz zur Oscar-Verleihung im Sonntagsanzug einzureiten und vorher bei unzähligen Interviews sich als Chef und Retter des Independent-cinema zu präsentieren. Schnabels erster Film handelte vonJean-Michel Basquiat und es gelang ihm auf Recht interessante, wenn auch natürlich insgesamt nicht begrüßenswerte Weise, jeden politischen und spezifischen Gehalt von dessen Werk, insbesondere sein Selbstverständnis als afroamerikanischer Künstler zugunsten von Darstellungen seines Weges zum Ruhm – Berufungserlebnisse, Initiationen etc. zu miniaturisieren. In seinem neuen Film »Before Night Falls« Biopics sind nunmal sein Genre – erzählt Schnabel die Lebensgeschichte des kubanischen Lyrikers Reynaldo Arenas, der als ursprünglicher Sympathisant schließlich wegen seiner offen gelebten Homosexualität zum Castro-Gegner wurde und nach Jahren in kubanischen Gefängnissen schließlich nach New York ausreiste, wo er an den Folgen einer AIDSInfektion starb. Auch Arenas wird unter Schnabels Hand zum buchstäblich aus dem Lehm gekrochenen Naturkind, das qua Auserwähltsein seinen nie angezweifelten Weg zum Genie geht und das ebenso zwangsläufig mit dem totalitären Regime in Konflikt gerät – dass dieser Konflikt beim echten Arenas ganz entscheidend von seiner Homosexualität und von der spezifischen Homophobie des Castro-Regimes bestimmt wurde und nicht von einem Genie/Bürokratie-, Natur/Ordnung-Gegenüber, wie es Schnabel zuweilen nahe legt, ist seinem Film nicht zu Unrecht vorgeworfen worden. Darüber hinaus fällt aber vor allem die Ähnlichkeit zu der Geschichte auf, die er über Basquiat erzählt, der Geschichte des Auserwähltseins. Es reicht ein Psychologe minderer Statur, wie ich zum Beispiel, um den Zusammenhang zu Schnabels eigener Geschichte zu erkennen, bzw. zu seinem bisher auch nicht gerade verheimlichten Selbstbild eines Auserwählten. Reden muss man aber darüber, wie dieses Selbstbild mit drei unser Thema betreffenden Umständen zusammenhängt: Schnabels Vergangenheit und seine vielfach kontrovers diskutierte Rekonstruktion eines ganz aus sich schöpfenden metaphysischen Autors, in seiner Malerei; der Schritt, gerade im verglichen mit Malerei und anderen Atelierkünsten konventionell mit Kontrollverlusten verbundenen Medium Kino, sein Projekt einer aus sich selbst schöpfenden Selbstverwirklichungskunst weiterzuführen – und schließlich seine Neigung, in beiden Fällen seine nur notdürftig kaschierten Autobiografien gerade anhandvon Biografien zu erzählen, in denen es gerade nicht um eine Arbeit aus der Machtfülle einer unangetasteten hegemonialen Subjektposition ging, sondern um Künstlerschicksale, in denen die künstlerische Praxis unter anderem auch die Rolle der Selbstermächtigung eines von einer minoritären Position aus arbeitenden Künstlers mit einschloss. Nun, ich denke, dass alle drei Momente zeigen, dass Julian spürt, was los ist: die malerfürstliche Geste der frühen 1980er will niemand mehr kaufen. Sie wird nur noch glaubhaft, wenn man die Eroberung einer Machtposition und eines vollen Sprechens als etwas anderes inszeniert – als sozusagen politische Selbstermächtigung. Der Weg zum Ruhm fühlt sich für den, der ihn geht immer so an, als hätte er etwas für die Menschheit getan. Nachdem er an der Spitze ist, erzählt bekanntlich jeder Unternehmer seine Geschichte als die eines Gandhi oder Nelson Mandela. Das aber geht nur noch im Mainstream-Kino, weil dort niemand auf die Produktionsbedingungen reflektiert, sondern statt dessen auf die Geschichten, die erzählt werden und von diesen wegführen: nur in Fiktionen lässt sich die Kontrolle aufrechterhalten, die real an eine immer größere Zahl von Geldgebern abgegeben werden muss. Gerade im mittelständischen Independent-Kino explodiert die Zahl der Produzenten zur Zeit, und damit implodiert natürlich genau die künstlerische Souveränität von der Schnabels Filme erzählen. »The Cavemans Valentine« ein neuer Independent-Film mit Samuel L. Jackson bringt es auf die Rekordzahl von 16 Produzenten. Man muss sich nur die schiere Zahl von Power Lunches, Handy-Gesprächen und Test-Screenings vorstellen, die stattgefunden haben müssen, um diese Zahl und die dahinter stehenden unterschiedlich motivierten Geldgeber zufrieden zu stellen. Wer unter diesen Bedingungen Geschichten der Berufung zu einsamer Größe erzählt, scheint auch von dem Bedürfnis geleitet zu sein, allen schmerzlich vertraute Verhältnisse als Märchen dementieren zu wollen. Schnabel dreht Anger – und damit den Beginn des Hollywood-Begehrens im anderen Kino um –, statt aus der konkreten gesellschaftlichen Realität der Lüge Hollywoods eine eigene tiefere Wahrheit quasi parasitär abzuleiten, wie Anger, entwirft er ein individualistisches heroisches Märchen, das derzynischen Offenheit, mit der Hollywood mittlerweile von sich selbst erzählt, die Pflicht zur großen Lüge vorhält. Dahinter steht zwar eine reaktionäre Idee, die aber, wie so oft, bei Reaktionären ganz rührend rüberkommt und natürlich den wahren Kern enthält, dass eine aufgerüstete ideologische Maschinerie, die naturgemäß aus lauter verkehrten und verdrehten Spiegelungen der Verhältnisse zusammengesetzt ist, ein reizvolleres, wenigstens welthaltigeres Gegenüber ist als eine zynisch aufgeklärte. Schnabels hilflose Grandiosität ist bei aller Peinlichkeit sicher sympathischer als illusionsloser Zynismus. Vielleicht ist es aber auch nicht der Glanz der Ideologie oder die schöne Konsistenz der Lüge, die ein anderes Kino als Gegenüber ermächtigt hat, sondern eben deren packendes Scheitern im Angesicht eines unerwarteten subjektiven Faktors – und »Traffic« ist bestimmt ein in mancher Hinsicht ideologischer Film, aber kein gescheiterter.

8. Star-quality

Im Winter 2000 moderiert Anette Michelson ein Roundtable mit Stuart Klawans, Richard Peña, James Schamus und Malcolm Turvey [8] , also zeitgenössischen Theoretikern und Produzenten die im Kontext des sogenannten Independent-cinema stehen, und stellt in ihrer Einleitung einen Bezug zwischen Nouvelle Vague damals und Independent-cinema heute her. Dann richtet sie den Vorwurf an die damalige Nouvelle Vague, die kulturindustriellen Strukturen nicht in Frage gestellt zu haben, sondern lediglich »access to that system in the name of an oppositional stance with respect to the nature of cinema as an artistic practice and, eventually, of its theorization« [9] verlangt zu haben – also lediglich den Auteur als neue Figur, um ihr Argument in meines einzufügen, in die bestehende Arbeitsteilung an die Stelle des Regisseurs gesetzt zu haben, um so die Kontinuität eines bestimmten Kunstbegriffs zu garantieren. Unausgesprochen bleibt in diesem Gespräch dieser Vorwurf auch an die anwesenden zeitgenössischen Praktiker stehen. Doch die reagieren präventiv mit einem Gegenvorwurf an die Adresse der Repräsentantin der alten experimentellen Avantgarde, diese hätte sozusagen zwei Erbsünden begangen in Bezug auf eine Theorie des zeitgenössischen Kinos: zum einen die Verteufelung derNarration, zum anderen die Fixierung des experimentellen Kinos im Kunstkontext. Man kann vielleicht beiden Recht geben, aber wenn schon von alten Geschichten die Rede ist, frage ich mich, ob nicht ein anderes Versäumnis noch verhängnisvoller ist, nämlich das soziale und künstlerische Experiment der Produktion von Star-quality jenseits der Industrie und ihrer Logik nicht weitergeführt zu haben und so statt Verführung zu verteufeln, einen anderen Begriff von Verführung zu gewinnen – statt schließlich nur dem Fernsehen die Idee zu verramschen, dass jeder für 15 Minuten berühmt sein kann. Wenn Star-quality sich doch vielleicht – wie vorgeschlagen – als ein Nebenprodukt konzeptualisieren lässt, das genuin kinospezifisch ist; als eine neue menschliche Reaktion auf diesen industriellen Apparat der Menschennormierung, dann ist Star-quality nicht das, was einen Star ausmacht, der gut aussieht und die ›conventional patterns of acting‹ beherrscht, sondern der- oder diejenige, die den queeren Überschuss produziert, der mit der Nichtidentität der Norm und ihrer schauspielernden Repräsentanten zusammenhängt. Star-quality ist ein neues menschliches Verhalten, eine psychologische wie politische Antwort auf den kinematischen Apparat ebenso wie auf seine gesellschaftliche – kulturindustrielle – Funktion. Warhol hat diese Qualities gesehen und nur experimentell und als Anfang versucht, sie planvoll hervorzubringen – nur allererste Versuche, die nicht oder nur selten weiterverfolgt wurden. Tatsächlich ist diese Idee des Stars aber ein Gegenentwurf zum Auteur, der ernster genommen zu werden verdient. Und vielleicht fuchtelt Julian genau deswegen so hilflos mit Grandiosität in der Gegend herum, weil er auf der Suche nach genau dieser Qualität ist – und dabei von der Idee verblendet ist, er müsse der Star sein. Der Star ist aber keine Person im wirklichen Leben, kein Autor, der seine Sache gut gemacht hat, kein Schauspieler, der als Norm funktioniert, weil man denkt, der sieht aber gut aus und kommt irgendwie toll durchs Leben, sondern weil man gerade nicht so sein kann, weil man Stars nur verehren kann – nicht imitieren. Stars gibt es – in diesem Sinne – nur im Kino.

© Medien Kunst Netz 2004