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http://mkn.zkm.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/massenmedien/
In den 1960er Jahren wird das Fernsehen weltweit zum beherrschenden Massenmedium, dessen meinungsbildende Macht die Presse und das Radio übertrumpft. Zeitgleich entsteht auch der heutige Begriff ›Massenmedium‹, wie sich am Sprachgebrauch auch ohne eingehende etymologische Untersuchung ablesen lässt. Presse, Radio und Film gelten zwar ebenfalls als Massenmedien, doch nur das Fernsehen scheint, den Begriff als Synthese von deren Wirkungen umfassend zu verkörpern. Er hat dabei tendenziell eine negative Konnotation, die sich deutlich von der Begeisterung unterscheidet, mit der in den 1920er Jahren das Radio begrüßt wurde. In der Tat ist das Fernsehen vom Standpunkt der Künste aus das hoffnungsloseste Medium. Seine Entstehung verläuft in den durch die fest etablierten Massenmedien Film und Radio vorgeprägten Bahnen. Es gibt kaum eine Phase der Offenheit und kreativen Suche nach der Bestimmung des Mediums. Die einzige Alternative, die sich stellt, ist die zwischen dem privatwirtschaftlichen Prinzip der Filmindustrie beziehungsweise amerikanischen Radioindustrie und dem staatlichkontrollierten Modell der europäischen Radiosender. Dies war schon vor der Einführung des Fernsehens absehbar, wie die entsprechende These Rudolf Arnheims im Schlusskapitel seines Buchs zum Radio von 1933 belegt.[1] Das hindert David Sarnoff, Chef der RadioCorporation of America, nicht daran, 1939 in seiner emphatischen Rede zum Beginn des amerikanischen TV-Programms von der »Geburt einer neuen Kunst« zu sprechen, welche»in einer krisengeschüttelten Welt als Fackel der Hoffnung leuchtet«[2].
Seit den 1920er Jahren ist die Entwicklung der Radio- und Fernsehlandschaft in den USA und Europa sehr verschieden verlaufen. Während in den USA von Anfang an das Feld den kommerziellen, werbefinanzierten Sendern gehört, hat in Europa zumeist der Staat die Oberhoheit über das Programm, mit dem sowohl politischer Einfluss als auch hohe kulturelle Zielsetzungen verknüpft werden. Dieser Konflikt zwischen Kommerz und Kultur reicht bis in die Debatten der 1980er Jahre über die Einführung des Privatfernsehens in Europa, und er endet mit dem weltweiten Siegeszug des amerikanischen Modells. Die Einschaltquote wird damit zum einzigen Kriterium für Erfolg oder Scheitern, und die spricht von Anfang an für die Kommerzialisierung. In den USA sieht die durchschnittliche Familie in den 1960er Jahren schon circa fünf Stunden TV täglich, dabei gibt es jenach Region eine Auswahl von mehr als zehn Programmen rund um die Uhr, seit 1957 zunehmend auch in Farbe. Demgegenüber ist Europa noch TV-Entwicklungsland. In Deutschland steht den Zuschauern bis 1963 nur ein einziger Kanal in Schwarzweiß während der Abendstunden zur Verfügung. Dennoch kann man ab 1965 davon ausgehen, dass bei mittlerweile 10 Millionen Fernsehgeräten mit statistisch je 2,5 Zuschauern »das ganze deutsche Volk schon jetzt vom Fernsehen erreicht wird«[3]
Fernsehen ist das effizienteste Reproduktions- und Distributionsmedium der Menschheitsgeschichte, aber es hat im zurückliegenden halben Jahrhundert kaum etwas ausgebildet, was als eine dem Medium eigene Kunstform bezeichnet werden könnte. Die Differenz zwischen High und Low hat sich hier nie so wie im Filmverankern können. Es gibt keine Form der TV-Hochkultur, die als bleibendes Kulturgut betrachtet würde,das für zukünftige Epochen zu bewahren sei.[4] Die einzige Ausnahme ist der seit den 1980er Jahren entstandene Musicclip, der in ausgewählten Beispielen mittlerweile auch zu höchsten musealen Ehren im Kunstkontext kommt. Die Musicclips werden oft als Fortsetzung der Avantgarde des ›absoluten Films‹ der 1920er Jahre bezeichnet. Diese in einzelnen Fällen durchaus berechtige Analogie darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie primär Werbung im Dienst der Musikindustrie sind und von daher nicht zur Geschichte der modernen Kunst gehören, es sei denn, deren Status absoluter Autonomie würde mit Anbruch der Postmoderne hinfällig. Denn bezeichnenderweise bildete gerade MTV in den 1980er Jahren die Speerspitze des Vormarschs des kommerziellen TVs nach US-Vorbild gegen das europäische, öffentlich-rechtliche Modell und dessen staatlichverankerten Kulturauftrag. Aus all diesen Gründen hat das Fernsehen viel weniger Anstoß zu kulturellen oder gar künstlerischen Utopien gegeben als das Radio und der Film seit den 1920er Jahren. Mit einer noch von der Erfahrung des Mediums ungetrübten Emphase wird es nur vor seiner Einführung begrüßt, so von den Futuristen 1933 (»La Radia«) und von Lucio Fontana 1952. Anfang der 1950er Jahre finden sich zur Einführung des Fernsehens in Europa zwar Ansätze zu einer Debatte über seinen möglichen Kunstcharakter. Aber vor allem in Deutschland führen viele Autoren bereits im Titel ihrer Veröffentlichungen so prätentiös den Begriff ›Kunst‹ ins Feld, als sei er die universelle Waffe gegen die Medienskepsis, zu welcher sowohl die amerikanische Kommerzialisierung als auch die nationalsozialistische Propaganda Anlass geben, die sich schon 1935 rühmte, den ersten regelmäßigen Fernsehsender der Welt zu betreiben.[5] Als sollte all das ungeschehengemacht werden, heißt es voll zweck-optimistischer Zuversicht im ersten bundesdeutschen Fernsehjahr 1953: »Das Fernsehen ist schon heute eine Kunst. Es wird mit Gewissheit die Kunst von morgen sein.«[6] Hingegen rechnet Adorno aufgrund seiner amerikanischen Erfahrungen das Fernsehen schon 1953 anlässlich seiner bundesdeutschen Einführung zum »Schema der Kulturindustrie«, denn es »treibt deren Tendenz, das Bewusstsein des Publikums von allen Seiten zu umstellen und einzufangen, als Verbindungvon Film und Radio weiter. […] Die Lücke, welche der Privatexistenz vor der Kulturindustrie noch geblieben war, solange diese die Dimension des Sichtbaren nicht allgegenwärtig beherrschte, wird verstopft«.[7]
Der gesellschaftliche Einfluss des Fernsehens bildet auch ein zentrales Thema für den Beginn der Medientheorie in den 1960er Jahren. Marshall McLuhan prognostiziert das Ende des Gutenberg-Zeitalters durch die audiovisuellen Medien, eine These, die er vor allem durch seine eigenen häufigen Radio- und TV-Auftritte ebenso illustriert wiebelegt. Umberto Eco widmet den Schluss seines Buchs über das »offene Kunstwerk«[8] der Fernseherfahrung bei Live-Sendungen, in denen er eine strukturelle Verwandtschaft zu den nicht vordeterminierten ›offenen‹ Kunstformen seiner Zeit sieht. So wie das amerikanische und europäische Mediensystem weisen auch diese beiden Theorien der Kunst eine unterschiedliche Rolle zu: Für McLuhan bestimmt der medientechnische Fortschritt im wesentlichen ihre Entwicklung, indem er zuvor nur künstlerisch erahnte neue Darstellungsformen zur Machbarkeit bringt. Für Eco dagegen bietet die Kunst das Modell einer selbstbestimmten Alternative zur Fremdbestimmtheit durch die Macht der Medien.
Im Folgenden zeigen drei Momentaufnahmen aus drei Dekaden exemplarisch die Entwicklung der Beziehung von Kunst und Fernsehen. Dabei werden sowohl verschiedene künstlerische Haltungen wie die Veränderungen der Medienlandschaft deutlich. Schon in den 1950er Jahren stecken Lucio Fontana, John Cage und Guy Debord mögliche künstlerische Positionen gegenüber Fernsehen, Radio und Film ab, die von totaler Begeisterung bis zu radikaler Ablehnung reichen.[9] Um 1963–1964 erproben dann Nam June Paik, Wolf Vostell und weitere Künstler erstmals praktisch die Kunsttauglichkeit des Fernsehens mit primitiven Mitteln, noch ganz ohne Videotechnik und ebenso ohne Unterstützung der Sendeanstalten. 1968–1969 entstehen die ersten von Künstlern gestalteten Sendungen, ab 1970 verschiedene Modelle der Zusammenarbeit mit den Fernsehanstalten. Erstaunlich ist die weitgehende Synchronität dieser Schritte. In allen drei Zeitfenstern finden die Entwicklungen an verschiedenen Orten gleichzeitig statt, ohne dass die Beteiligten voneinander wissen. Diese Synchronität findet sich sowohl in der Technikentwicklung wie derKunstgeschichte schon seit dem 19. Jahrhundert. Die Fotografie und die elektrische Telegrafie werden um 1840 von mehreren Erfinder fast gleichzeitig entwickelt, ebenso entstehen um 1910 die abstrakte Malerei oder um 1920 der absolute Film in mehreren Künstlerateliers unabhängig voneinander. »Es gibt Stunden im Denken der Menschheit, in denen eine bestimmte Idee gleichzeitig an verschiedenen Orten, sozusagen endemisch auftaucht«, schreibt der Fotograf Nadar, als er 1855 sein Verfahren für Luftbilder aus dem Ballon patentieren lässt und feststellt, dass diese Idee gleichzeitig von einem Wissenschaftler namens Andraud in einem Buch beschrieben wird: »Daher auch der Ausdruck: Der Gedanke lag in der Luft.«[10]
Die Entwicklung intermedialer Kunstformen lässt in den 1960er Jahren enge Verbindungen zwischen Kunst, experimentellem Theater und dem zum Expanded Cinema gewordenen Film entstehen. Video spielt dabei bis gegen Ende der 1960er Jahre nur eine untergeordnete Rolle, denn erst 1965 bringt SONY den Portapak als erste für Privatpersonen erwerbbare Videoausrüstung auf den Markt. Welche Möglichkeit besteht in dieser Situation für einen Künstler, mit dem Medium Fernsehen zu arbeiten? Die Chance, als Einzelner das Recht zur Gestaltung einer ›TV-Kunst‹ - Sendung zu erhalten,ist ausgesprochen gering. Erst ab 1968–1969 erhalten in den USA und Deutschland Impulse der Videokunst Eingang in das Fernsehen. Künstler befinden sich also großteils in der gleichen Rolle wie fast alle anderen Menschen: der des Zuschauers. Diese Situation wird von mehreren Künstlern zum Thema gemacht, indem sie das Fernsehgerät, so wie es zuhause in der guten Stube steht, zum Ziel ihrer Attacke oder Transformation machen. Im Folgenden soll die Entstehung dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit dem TV-Bild an einer Schlüsselstelle um 1962–1964 verfolgt werden.[11]
Diese Anfänge der Medienkunst stehen dabei durchweg unter viel bescheideneren Prämissen als alle utopischen oder politischen Forderungen der ersten Hälfte des Jahrhunderts: Künstler arbeiten nicht mit dem Fernsehen als Sendeanstalt und Institution,sondern nur mit dem Endgerät, dem Fernsehapparat. So wie in Richard Hamiltons Collage »Just what is it, that makes today's home so different, so appealing« von 1956 ist das Fernsehen eine unter vielen anderen neuen Bereicherungen des modernen Heims. Die Künstler sind also nur ›exemplarische Zuschauer‹, sie arbeiten mit der Fernseh-Kiste als Symbol für das gesamte Massenmedium, und statt selbst Sendungen zu machen, verarbeiten sie das normale TV-Progamm. Hier geht es also nicht mehr darum, das Fernsehen zu einem Instrument der Kunst zu machen; sein institutioneller Status als Mediensystem bleibt unangreifbar, Künstler können es lediglich modellhaft auf der Rezeptionsseite verändern. Nicht Fontanas[12] emphatisch-utopische, sondern Cages[13] rezeptiv-analytische Haltung ist der Vorläufer für die folgenden Beispiele. Wie schon 1951–1952 besteht auch 1962–1964 eine erstaunliche Synchronität, obwohl die Künstler meist unabhängig voneinander und auf verschiedenen Wegen zur Arbeit mit dem Fernsehen kommen. Alle im Folgenden genannten Beispiele zeigen, dass die Künstler schon mit dem elektronischen TV-Bild arbeiten, bevor die Industrie ab Mitte der 1960er Jahre die ersten erschwinglichen Videogeräte auf den Markt bringt. Die Kunst wartet also nicht auf den Fortschritt der Medientechnik, sondern greift zu ihren eigenen Mitteln, um sich mit dem beherrschenden Massenmedium der Zeit auseinander zu setzen.
Allgemein gilt Nam June Paik heute als Vater der Videokunst. Sein Weg führt vom Studium der klassischen Musik in Korea und Japan über die Entdeckung Arnold Schönbergs zu John Cage und dem Interesse an elektronischer Musik schließlich zur Arbeit mit dem elektronischen Bild. Seine erste wichtige Aufführung mit dem Titel »Hommage à John Cage – Musik für Tonbänder und Klavier«[14] findet 1959 in der Galerie 22 von Jean Pierre Wilhelm in Düsseldorf statt, wo ein Jahr zuvor auch Cage aufgetreten ist. Die Verbindung von Cage und Paik liegt in ihrem gemeinsamen Interesse an zufallsbestimmten Kreationsprozessen, welche mithilfe neuer Techniken, darunter auch der Elektronik, die Rolle der menschlichen Intention und des Ideals der künstlerischen ›Idee‹ hinterfragen.[15]
Zwei Beispiele können dies verdeutlichen: Cage verwendet in seiner ersten Tonbandkomposition »Williams Mix« von 1952 zufallsbestimmte Prozesse zur Komposition einer grafischen Partitur, nach der dann acht Tonbandspuren mit generierten und gefundenen Geräuschen geschnitten und montiert werden. Cage verlässt also das etablierte Zeichensystem der europäischen Musiknotation, um mit dem neuen Medium Tonband Klang als Material handhabbar zu machen, so dass durch grafische Strukturen eine musikalische Komposition entsteht. Paik entwickelt dieses Prinzip in seinen Stücken zum Thema »Random access music« von 1963 weiter. Er verwendet auch mehrere Tonbandspuren mit vorgefundenen Klängen, lässt diese jedoch nicht durch das Tonbandgerät laufen, sondern klebt sie nebeneinander und übereinander auf eine Unterlage. Während Cage mit der Software des auf Band aufgezeichneten Tonmaterials arbeitet, greift Paik in die Hardware des Geräts ein und löst den Tonkopf aus dem Apparat, so dass der Besucher per Hand die verschiedenen Tonspuren abfahren kann. Im individuellen Zugriff des ›random access‹ entsteht eine jeweils neue Klangfolge ohne bestimmten Anfang oder Ende. Das Gerät für lineare, möglichst originalgetreue Wiedergabe von Musik wird umfunktioniert zu einem Instrument der Interaktion mit dem musikalischen Rohstoff. Während Cage den Musikern und den Geräuschen des Umfelds einen wesentlichen Anteil an seinen Stücken einräumt, baut Paik eine interaktive Installation, deren Klänge nunmehr völlig ohne kompositorische Vorgabe erst durch die Mitwirkung der Besucher entsteht. Auf vergleichbare Weise greift Paik die rezeptiv-analytische Strategie von Cages Komposition für Radioapparate von 1951 auf und überträgt sie auf das Fernsehen, geht dabei aber einen entscheidenden Schritt weiter, von der partizipativen Rezeption zur kreativen Interaktion des Publikums.[16]
Paiks erste wichtige Ausstellung »Exposition of Music – Electronic Television« findet vom 11.– 20. März 1963 in den Räumen der privaten Galerie Parnass des Wuppertaler Architekten Jährling statt. Schon der Titel zeigt den Übergang von Paik dem Musiker zu Paik dem Bildkünstler an, der sich über die Erweiterung der genannten Tonbandstücke zu Arbeiten mit demFernsehen vollzieht. In der über das ganze Haus bis in die Privaträume verteilten Ausstellung ist das Zimmer mit zwölf modifizierten TV-Geräten von den damaligen Besuchern oft nur en passant wahrgenommen worden. Erst im Rückblick von heute aus ist hier einer der entscheidenden Startpunkte der späteren Videokunst zu erkennen. Dies darf jedoch nicht vergessen lassen, dass das ganze Unternehmen wesentlich komplexer ist. Vier präparierte Klaviere, mehrere Schallplatten- und Tonbandinstallationen, mechanische Klangobjekte und ein frisch geschlachteter Ochsenkopf über dem Eingang gehören zu dem nur zehn Tage jeweils zwei Stunden abends von halb acht bis halb zehn geöffneten Ereignis. »Am Eröffnungsabend kommen fast nur Freunde der Beteiligten, an den weiteren Abenden fast niemand.«[17] Dennoch haben die zwanzig Stunden dieser Ausstellung das Jahr 1963 zur Stunde Null der Kunstgeschichtsschreibung zur Videokunst gemacht – und das, obwohl hier keinerlei Videogeräte zum Einsatz kommen.
Die abendlichen Öffnungszeiten richteten sich nach den Sendezeiten des damals einzigen deutschen Fernsehprogramms, da nur dann auf den TV-Geräten ein wie auchimmer modifiziertes Bild zu sehen war.[18] Das zeigt, wie wichtig Paik selbst diese vom Publikum und der Presse kaum gewürdigten Fernsehexperimente sind. Die gebrauchten Fernseher verschiedener Fabrikate und verschiedenen Alters sind ›at random‹ im Raum verteilt. Vom Fluxuskünstler Tomas Schmit, der am Ausstellungsaufbau mitarbeitet, stammt die beste Beschreibung der unterschiedlichen elektronischen Modifikationen: »ausgangsmaterial ist das normale fernsehprogramm, was allerdings bei den wenigsten geräten noch zu erkennen ist. (die verschiedenen komplizierten eingriffe, die paik an den inneren organen des tvs vorgenommen hatte, entziehen sich dem verständnis des elektrolaien und meinem; ich versuche, die resultate zu beschreiben): einer der fernseher zeigt ein negatives und überdies laufendes bild. bei einem ist das bild um die senkrechte mittelachse des bildschirms gewissermaßen zu einer walze zusammengerollt. bei einem ist es um die waagerechte moduliert. beim laut paik kompliziertesten fall rücken drei unabhängige sinusschwingungen den parametern des bildes zu leibe. die zweiergruppe: der untere ist waagerecht gestreift, der obere istsenkrecht gestreift. […] beim zen tv läuft mitten über den bildschirm eine einzige senkrechte, weiße linie. einer liegt auf dem gesicht und zeigt sein programm dem parkett (paik heute: ›der war kaputt.‹). […] bei vieren sind die manipulationen so, daß obendrein von außen eingespeistes das bild bestimmt oder beeinflusst: einer ist an einen vor ihm liegenden fußschalter angeschlossen; drückt man den, führen die kurzschlüsse des kontaktvorgangs dazu, daß ein feuerwerk von augenblicklich wieder verlöschenden lichtpunkten über den bildschirm spritzt. einer hängt an einem mikrofon; spricht jemand rein, sieht er ein ähnliches jedoch kontinuierliches punktefeuerwerk. am weitesten geht der kuba tv; er ist an ein tonbandgerät angeschlossen, das ihm (und uns) musik einspeist: parameter der musik bestimmen parameter des bildes. schließlich (im obergeschoß) der one point tv, der mit einem radio verbunden ist; er zeigt in der mitte des bildschirms einen hellen punkt, dessen größe sich nach der jeweiligen lautstärke des radioprogamms richtet […].«[19] Der chaotische Eindruck des TV-Ensembles täuscht also, insofern das Ganze eher einer Laborsituation mit verschiedenen Versuchsaufbauten als einer klassischen Ausstellung gleicht. Cage hat mit dem ›präparierten Klavier‹ das Instrument der europäischen Musiktradition und das Symbol des gutsituierten Bürgerhauses einer Transformation und Befreiung unterzogen. Paiks Umgang mit dem Fernsehen, das in den 1960er Jahren als teuerstes Möbel im Heim die Nachfolge des Klaviers antritt, ist ebenso anarchisch und befreiend, aber zugleich sehr differenziert und medienspezifisch. Mit den jeweiligen Modifikationen zeigt Paik verschiedene mögliche Haltungen des Zuschauers gegenüber dem Fernsehen, die vom Meditationsobjekt (»Zen for TV«) bis zum Interaktionsobjektreichen. Auch wenn Künstler nicht selbst zu TV-Machern werden, so können sie doch modellhaft neue Umgangsweisen mit dem Medium zeigen. Paiks Idee des »participation TV«[20], welches dem Betrachter statt passivem Konsum aktive Teilnahme erlaubt, weistvoraus bis zur heutigen Diskussion über Interaktivität und Multimedia als Massenmedien des 21. Jahrhunderts.[21]
Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war an solchen Vorschlägen für die Zukunft des Mediums nicht interessiert und hat von Paiks Ausstellung keineNotiz genommen. Der Zufall will aber, dass kurz danach, am 1. April 1963, das ZDF in Deutschland seinen Betrieb aufnimmt und somit der Zuschauer erstmals die Möglichkeit zur Auswahl zwischen zwei Progammen erhält – vorausgesetzt er hat seinen Fernseher mit der entsprechenden Set-Top-Box aufgerüstet. Man bedenke, dass bis dahin zumindest in Deutschland die einzige Interaktion des Zuschauers mit dem TV-Bild die Bedienung des An/Aus-Schalters war.
Wolf Vostells erste öffentliche Ausstellung von TV-Arbeiten findet vom 22. Mai – 8. Juni 1963 in New York statt, also nur zwei Monate nach Paiks Wuppertaler Projekt. Die private, nicht-kommerzielle Smolin Gallery präsentiert laut Einladung »Wolf Vostell & Television Decollage & Decollage Posters & Comestible Decollage«. Entsprechend besteht die Ausstellung, ähnlich wie bei Paik, aus mehreren Teilen, die Vostell folgendermaßen auflistet: »6 TV Geräte mit verschiedenem Programm / Das Bild ist decollagiert – 6 Schmelzungen / Töpfe mit Plastikflugzeugen die durch die Hitze zerfliessen – 6 gegrillte Hühnchen auf einer Leinwand / vom Publikum aus dem Bild zu essen – 6 Chicken Incubators / auf Leinwand / am Tag der Ausstellung sollen die Kücken entschlüpfen – jeder erhält eine Ampulle mit Flüssigkeit, mit der er Illustrierten verwischen kann.«[22] Besagte Ampulle mit Lösungsmittel wurde den Besuchern bei der Eröffnung überreicht, und Fotos zeigen, dass dieses Angebot zur »Do it yourself Dé-collage« von auf die Wand gehängten Zeitschriften regen Zuspruch erhielt. Dieses Verfahren wird von Vostell selbst in seinen bildnerischen Arbeiten verwendet und verweist auf den Ursprung des Begriffs ›Decollage‹, der von Vostell in den 1950er Jahren geprägt wird, als sein Werk noch von Plakatabrissen in der Nachfolge von Hains, Villeglé und Rotella bestimmt wird. Im Unterschied zur neue Sinnschichten schaffenden Collage ist die ›Decollage‹ ein aggressiver Akt durch Abreißen, Verwischen und Stören von vorgefundenen Bildstrukturen, seien dies Plakatwände, Zeitschriften oder Fernsehbilder.
Kurz vor Eröffnung der Ausstellung findet am 19. Mai 1963 das ebenfalls von der Smolin Gallery organiserte YAM Festival in New Brunswick statt, wo Happeningsund Aktionen von Dick Higgins, Chuck Ginnever, Allan Kaprow, Yvonne Rainer, Wolf Vostell und La Monte Young aufgeführt werden. Vostells Aktion heißt »TV Burying« und in ihrem Verlauf wird die Mattscheibe bei laufendem Programm mit Sahnekuchen beworfen, ein altes Ölbild durchstochen und vor das TV-Bild gehängt.Dann wird das Gerät in einer symbolischen Krönung mit Stacheldraht umwickelt sowie mit Putenschnitzeln bestückt und schließlich die Flimmerkiste in einem mit Pressluftbohrer und Schippe ausgehobenen Grab beerdigt.[23] Die Assoziationen reichen vom Slapstick der Kuchenschlacht bis zu deutlichen Anklängen an die religiöse Darstellung der Kreuzigung und Grablegung.
Sowohl bei der Ausstellung als bei der Aktion wird Vostells direkter Bezug des TV-Bildesauf das Tafelbild deutlich. Die ›Decollage‹ wird gleichermassen auf Plakatwände, Zeitschriften, Leinwandbilder und das TV-Bild angewandt. Noch deutlicher zeigt sich dieenge Verbindung von Vostells TV-Arbeiten mit der Malerei in seinen ersten Konzepten für Fernseh-Stücke, die von ihm selbst mit abweichenden Angaben auf 1958 oder auf 1959 datiert werden: »Saubere weiße Leinwand – dahinter 5 Fernsehgeräte montiert verschied. Größen – Fernsehen stößt an Leinwand – In Fernsehapparate werden Störeffekte eingebaut so daß es ständige Veränderungen gibt.«[24] Zusammen mit einer knappen Skizze dient diese Notiz als Grundlage für mehrere spätere Realisierungen wie sie unter anderem in der großen Vostell-Retrospektive 1992 als »TV-Décoll/age no. 1« ausgestellt wird. Der Schnitt durch die unberührte Leinwand der Malerei macht den direkten Bezug zu Lucio Fontanas »Concetto spaziale« mehr als deutlich. Im Unterschied zu Fontanas Blick ins Ungewisse ahnt Vostell jedoch schon, dass uns hinter der durchbrochenen Fläche der Malerei das Flimmern des elektronischen Bildes erwartet. Offen bleibt, ob Vostell das Manifest Fontanas zum Fernsehen kannte. Der destruktive Impuls von Vostells TV-Decollage setzt jedoch eher Debords Medienkritik fort, die auch nicht davor zurückschreckte, das Publikum mit ihrer Botschaft zu terrorisieren.[25] Vostell inszeniert bei dem Happening »Nein – 9 Decollagen« in Wuppertal dann 1963 sogar die rituelle Erschießung eines laufenden Fernsehapparats vor Publikum. Bei einerweiteren Station des als Rundfahrt organisierten Events werden die Teilnehmer in ein Kino geführt, auf dessen Leinwand ein Film mit einer TV-Decollage läuft, begleitet von einem Sirenenheulen, während auf dem Boden des Kinos regungslose Menschen liegen. Dieser Film »Sun in your head« kann als erste künstlerische Arbeit mit aufgezeichneten Bewegtbildern des Fernsehens gelten. Aber wie steht es mit Vostells Behauptung: »Ich bin der erste Künstler in der Welt, der seit 1958 Fernsehgeräte für Bilder nutzt«?[26].
Wie gesagt, kommen um 1962–1964 mehrere Künstler parallel auf die Idee, den Fernsehapparat als Kunstmaterial einzusetzen. Die Frage ›Wer war der Erste?‹ trifft nicht den Punkt, es geht wie auch in vergleichbaren Fällen solch erstaunlicher Synchronität eher um einen Blick auf die Differenzen und den gemeinsamen, zeitbezogenen Kontext. Eine besondere Konkurrenzsituation besteht allerdings zwischen Paik und Vostell, weil beide einander kannten und es nicht auszuschließen ist, dass hier eine Idee übernommen wurde. Zu dieser Frage sei hier nur Folgendes bemerkt: Paik hat zweifelsfrei als Erster seine TV-Arbeiten ausgestellt. Er hat an diesen Stücken circa ein Jahr im Vorfeld gearbeitet, sie aber in seinem ›geheimen Atelier‹ versteckt gehalten, damit ihm niemand zuvorkommt.[27] Paik und Vostell wussten von ihren ähnlichen Ideen und Paik verweist im Beiblatt zur »Exposition of Music – Electronic Television« von 1963 auf »Vostells Idee (Décollage Fernsehen)«. Inwieweit Vostell aber schon 1958 oder 1959 Ideen und Skizzen für TV-Stücke entwickelte und vor allem, in wie weit er diese auch realisierte, bleibt schwer zu beurteilen.[28] Auf alle Fälle hat er vor seinem Besuch von Paiks Wuppertaler Ausstellung keinerlei Hinweise auf seine TV-Konzepte veröffentlicht, was ihm in seinerselbst verlegten Zeitschrift »Dé-collage« ohne weiteres möglich gewesen wäre.[29]
Inhaltlich betrachtet ist klar, dass Vostells Arbeit mit dem Fernsehen eng an seine bildnerische Arbeit angebunden bleibt und er keine differenzierten Eingriffe in die Elektronik des Geräts vorgenommen hat, sondern nur mit der Störung des TV-Bildes durch äußere Eingriffe oder den Wechsel von Programmen arbeitet – wobei ihm aufgrund der größeren Programmvielfalt in den USA laut seiner Partitur immerhin 13 Sender zur Auswahl stehen. Strategisch betrachtet, war Vostells Platzierung seiner Ereignisse inNew York, mitten in der aufbrechenden Kunstszene der 1960er Jahre, gewiss geschickt. Dagegen hat Paiks Wuppertaler Ausstellung nur ein sehr begrenztes Publikum erreicht. Kurz danach wechselt Paik auch nach New York, wo er ab 1965 beginnt, mit Video zu arbeiten.[30] Neben dem Zugriff auf die neueste Technik war für ihn maßgeblich, dass man etwas, das man in Europa veranstaltet hat, in der Kunstmetropole New York noch einmal machen müsse, um die Aufmerksamkeit der Kunstwelt zu erreichen.[31] Statt der von Vostell aufgegriffenen destruktiven Strategie Debords setzt Paik auf eine Erweiterung der rezeptiven Strategie Cages zu einer produktiven Arbeit mit dem Medium.
Paik und Vostell sind nicht die Einzigen, die sich um 1962–1964 mit dem Fernsehgerät als Kunstobjekt befassen. Einerseits überrascht dabei die Parallelität in der Arbeit von Künstlern, die nichts voneinander wussten, andererseits ist aufschlussreich, wie unterschiedlich die jeweiligen Kontexte sind, in denen diese Arbeiten entstehen.
Tom Wesselmann baut 1962/1963 in einige seiner Pop-Art-Gemälde funktionierende TV-Geräte ein. Diese Gegenüberstellung von gemaltem Interieur und realen Objekten wie Telefon, Heizkörper oder Radio verwendet er auch in mehreren anderen Arbeiten, bis hin zu einem Objektkasten, der durch eine echte weibliche Brust zu komplettieren ist. In »Great American Nude # 39« von 1962 liegt ein gemalter weiblicher Akt zwischen realem TV und einem Fenster mit realer Jalousie. Wesselmann zeigt Fernsehen als Teil des amerikanischen Alltagslebens, als etwas, das man nicht gezielt betrachtet, sondern das nebenher läuft und ebenso zum Interieur gehört wie die Möbel und die Bilder an der Wand. Trotz des bewegten Bildes nennt er deshalb einige dieser TV-Gemälde Stillleben, am bekanntesten ist das »Still Life # 28« von 1963. Das Bild ist übervoll mit amerikanischer Symbolik und das Porträt von Präsident Lincoln an der Wand trifft auf das aktuelle Geschehen auf der Mattscheibe.[32] Hier sei heute der Ort der Politik, scheint das Bild zu sagen, denn 1960 gewinnt Kennedy gegen Nixon die Präsidentschaftswahl unter anderem, weil er im TV-Rededuell den besseren Eindruck macht.
Im gleichen Jahr 1963 bearbeitet Günther Uecker ein Fernsehgerät, »TV 1963«, indem er es mit einer Übernagelung sowie weißer Farbe versieht. Das Objekt ist Teil einer Ausstellung mit dem Titel »Sintflut der Nägel« bei der Uecker das Mobilar eines ganzen Wohnzimmers übernagelt. In einer TV-Sendung des Hessischen Rundfunks aus diesem Anlass wird Uecker gezeigt, wie er das TV-Gerät nagelneu erwirbt, um das gute Stück dann der künstlerischen Behandlung zu unterziehen.[33] Aus dem technischen KonsumfetischFernsehen wird dabei ein Objekt, das an primitive Rituale erinnert, wie sie beispielsweise mit afrikanischen Nagelfetischen ausgeführt werden.
Eine ebenfalls skulpturale Umwidmung der Fernseh-Kiste nimmt César in dem Stück »Télévision« von 1962 vor. Er entkleidet einen Fernseher seines Gehäuses, um ihn auf eine Schrottskulptur zu setzen. Das Ganze wird mit einer Plexiglashaube abgedeckt, die Löcher für die Antenne, den Lautsprecher und die Bedienungsknöpfe hat. Ganz im Sinne von Pierre Restanys Manifest des Nouveau Réalisme wird die Idee des Readymade auf die Wunder der modernen Zivilisation übertragen.
Aus dem gleichen Jahr 1962 stammt ein TV-Objekt von Isidore Isou, dem Begründer des Lettrismus, das den Titel trägt: »La télévision dechiquetée ou l'anti-crétinisation« (»Das zerstückelte Fernsehen oder die Anti-Idiotisierung«). Die etwas zu Unrecht in Vergessenheit geratene Bewegung des Lettrismus hat in den frühen 1950er Jahren viele Entwicklungen der konzeptuellen und intermedialen Kunst der 1960er Jahre vorweggenommen. Isou proklamiert 1951 die Zerstörung des Films, welche er mit eigenen Montagefilmen auch in die Tat umsetzt und damit den Skandal hervorruft, der den jungen Debord zum Lettrismus bringt.[34] Am bekanntesten wird die Bewegung durch die lettristische Hypergrafie, eine Zeichenschrift ohne Bedeutung, die in vielem die Entwicklung von Comics und Werbung vorwegnimmt. In seinem TV-Objekt setzt Isou dem Bildschirmeine Schablone mit solchen hypergrafischen Elementen vor und macht durch diese schlichte Geste die Mattscheibe zu einem Reservoir ständig neuer Zeichen, die aus der Überlagerung von hypergrafischer Matrix und laufendem Bild entstehen. Wesentlich ist, dass sowohl César als Isou ihre TV-Objekte im März 1962 in Paris ausstellen.[35]
Eine komplexere optische Veränderung des laufenden TV-Bildes nimmt der Schweizer Künstler, Grafikdesigner und Werbefachmann Karl Gerstner vor. Ab 1962–1963 entwickelt er verschiedene Modelle seiner »Auto-Vision>«: »Der Name bezeichnet den Unterschied zur Tele-Vision: es geht nicht um die Übertragung von Programmen, sondern um die unmittelbare Erzeugung von Programmen. Dazu dienen die täglichen Fernsehsendungen, die durch eine ›Brille‹ abstrahiert, bis zur Ungegenständlichkeit verfremdet werden«, sagt Gerstner dazu.[36] Diese der Op-Art verwandten ›Brillen‹ aus geformtem Plexiglas können gewechselt werden, jede erzeugt einen anderen Effekt. Zur Ausstellung »Crazy Berlin« im Haus am Lützowplatz in Berlin werden 1964 zwölf verschiedene ›Brillen‹-Varianten von »Auto-Vision« in einer Monitorwand gezeigt, alle mit dem gleichen und einzigen Programm, das unverzerrt auch daneben auf einem dreizehnten Fernseher läuft. Das mit Designperfektion gestaltete Einzelmodell von »Auto-Vision« hat ein ganzes Set von ›Brillen‹, die gewechselt werden können, und hätte seinerzeit gut zum progressiven Wohnambiente im Stil von Verner Panton gepasst. Doch Gerstner geht es nicht nur um Oberflächeneffekte, sondern wie er in einem aufwändigen Film mit Demonstration des Werks erläutert, sieht er seine Methode zur »unmittelbaren Erzeugung von Programmen« als Ersatz für eine digitale Manipulation von Bildern, welche der Computer damals noch nicht erreicht. Obwohl im Unterschied zu Paiks und Vostells verschollenen oder defekten ersten TV-Arbeiten zwei funktioniernde Exemplarevon »Auto-Vision« erhalten sind, wurden diese in der Videokunstgeschichte weitgehend ignoriert.
Neben diesen Stücken, die das Fernsehgerät als funktionierendes Objekt integrieren oder bearbeiten, lassen sich natürlich zahlreiche Beispiele für die Darstellung des Fernsehens in Malerei oder in Collagen nennen. Hier sei stellvertretend nur auf Paul Thek verwiesen, der 1963 in seiner Serie »Television Analyzations« vielleicht das klarste und radikalste Bild dieser Art malt, in dem die Mattscheibe mit einem angeschnittenen Gesicht formatfüllend die Leinwand beherrscht.[37] Auch in der Fotografie wird dasMedium TV zum Thema. Ebenfalls 1963 untersucht der amerikanische Fotograf Lee Friedlander in einer Serie von Bildern die Relation von TV-Mattscheibe und Interieur.[38] Und im gleichen Jahr fotografiert der Schauspieler und Künstler Dennis Hopper die Serie »Kennedy Suite«, die sich noch deutlicher auf den TV-Bildschirm als Hauptthema konzentriert. Außer Vostell setzen noch weitere Künstler das Fernsehen in der Aktionskunst ein, behandeln es dabei jedoch wie Wesselmann als selbstverständlichen Teil eines Interieurs.Gerhard Richter und Konrad Lueg inszenieren 1963 in einem Düsseldorfer Möbelhaus das Ereignis »Leben mit Pop. Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus«. Die Künstler sitzen selbst unbeweglich auf dort angebotenen Möbeln »in der Art von Plastiken auf Sockel gestellt, ihre natürlichen Abstände voneinander werden vergrößert, um so ein Ausgestellt sein zu verwirklichen«.[39] Dazu läuft der Fernsehapparat,der pünktlich um 20 Uhr mit Beginn der Aktion die Tagesschau zeigt. In dem Happening »Push and Pull« lädt Allan Kaprow 1963 die Besucher ebenfalls in ein Möbelarrangement, zu dem eine laufender Fernseher gehört, aber hier ist es ihre Aufgabe, selbst neue Konstellationen daraus zu schaffen. Das wichtigste Vorbild für eine zukünftige Kooperation von Künstlern und Sendeanstalten kommt jedoch aus der Literatur beziehungsweise dem Theater. Samuel Beckett realisiert 1966 beim Südfunk sein erstes Fernsehspiel, »He, Joe«, dem später weitere folgen. Er ist sowohl Autor als auch Regisseur des Stücks, das nur eine langsame Fahrt auf den einzigen Darsteller in einem kargen Interieur zeigt. Die auf ein Minimum reduzierten formalen Mittel seiner Fernsehspiele sind zwar durchaus den ebenso minimalistischen frühen Videoperformances der 1960er Jahre vergleichbar, doch Becketts Weg zum Fernsehen hat keine Verbindung zur zeitgenössischen Intermedia-Kunst, sondern fußt auf einem wesentlich älteren Genre, dem Hörspiel.[40]
Von den Utopien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wie sie Bertolt Brecht, Walter Benjamin, die Futuristen und auch noch Lucio Fontana entwerfen, die Radio, Film und Fernsehen als eine universale Erweiterung der Kunst sehen, ist in den1960er Jahren nicht viel geblieben. Das Fernsehen und die übrigen Massenmedien sind zu wirtschaftlichen und politischen Machtfaktoren geworden, deren Größenordnung jenseits von Fragen der Ästhetik oder der kulturellen Bedeutung liegt. Statt als utopischer Hoffnungsträger wird das Fernsehen von den meisten Künstlern der 1960er Jahre als übermächtiges Angriffsziel gesehen, dessen mediale Breitenwirkung die Bildwelt der Kunst als unbedeutend erscheinen lässt. Dennoch werden erstaunlich viele Ansätze für eine künstlerische Umdefinition des Fernsehens unternommen, die noch vor Beginn der Videokunst verschiedene Haltungen exemplarisch belegen. Neben der kritisch-aggressiven Position (Vostell, Isou, Uecker) und der neutral-kontemplativen (Wesselmann, César, Friedlander, Richter/Lueg) entwerfen vor allem Gerstner und Paik Modelle für eine Arbeit mit dem elektronischen Bild als künstlerischem Material. Paik greift dabei als Erster und Einziger in die Elektronik des Apparats ein, um das Bild schon im Entstehungsprozess zu formen. Seine Vision lautet: »Wie die Collagetechnik die Ölfarbe ersetzte, wird die Kathodenstrahlröhre die Leinwand ersetzen.«[41] Überraschend bleibt die Synchronität, mit der Künstler 1962–1963 mit dem Medium Fernsehen zu arbeiten beginnen. Eine klare Priorität unter ihnen gibt es noch weniger als bei anderen (Er)Findungen von Bildverfahren am Anfang des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise arbeiten um 1920 Walter Ruttmann, Viking Eggeling, Hans Richter und Marcel Duchamp auch fast gleichzeitig an den ersten abstrakten Filmen, teils ohne voneinander zu wissen. Wesentlich ist, dass die Künstler, ausgehend von verschiedenen Gattungen beginnen, mit dem TV zu arbeiten: Paik kommt von der Musik, Vostell und Wesselmann von der Malerei, César und Uecker sehen das TV vor allem als Objekt-Skulptur, Gerstner verwendet es als optischen Signalgeber, Isous Ausgangspunkte sind Film und Literatur. Das neue Medium steht am Schnittpunkt der verschiedenen tradierten Disziplinen. Die künstlerische ›Rückeroberung‹ des Fernsehens zeigt sich damit als symptomatischer Teil der interdiszipliären Aufbruchssituation der 1960er Jahre, die nach der Überwindung der Grenzen von Gattungen und der damit verbundenen Institutionen der Kultur strebt. Das Umfeld von Neuer Musik, Happening, Fluxus, ExpandedCinema und konkreter Poesie ist prägend für diese Anfänge, die erst von heute aus als Beginn der Medienkunst umgedeutet werden können. Zur Zeit ihrer Entstehung ist jedoch der von Dick Higgins eingeführte Begriff ›Intermedia‹ gewiss treffender als die spätere Eingrenzung auf ›Videokunst‹, die gegenüber dem umfassenden, medienübergreifenden Anspruch dieser Zeit eher einen Rückschritt auf ein doch wieder klar abgegrenztes Terrain anzeigt.
Als dreißig Jahre später in den 1990er Jahren das digitale Multimedia-Zeitalter proklamiert wird, erhält dieser in Vergessenheit geratene Intermedia-Begriff der 1960er Jahre eine neue Aktualität. Dabei besteht aber ein entscheidender Unterschied: Die künstlerischen Transformationen des TV-Apparats um 1962–1964 sind nur ein Symptomdieser Interferenz der Gattungen, für welche die Impulse aus der Kunst kommen. Der Computer ist in den 1990er Jahren aber de facto die treibende Kraft hinter der Konvergenz der Medien zur Multimedialität. Insofern haben sich von den 1960er zu den 1990er Jahren die Wechselbeziehungen von Kultur und Medientechnik umgekehrt.
Um 1968 –1969 erscheint es plötzlich doch so, als könne das Fernsehen zur Kunstform der Zukunft werden – und umgekehrt der Kuss der Muse den »schlafenden Riesen«[42] Fernsehen aufwecken. Fast zeitgleich entstehen in Europa und den USA Sendungen in Kooperation von TV-Stationen und Künstlern, die historische Meilensteinen in der Wechselwirkung von Kunst und Massenmedien sind. In erstaunlich kurzer Zeit werden die inhaltlich skeptisch-distanzierten und technisch meist primitiven Versuche einer TV-Kunst aus den Jahren 1962–1964 durch einen wiederbelebten utopischen Geistüberholt: »Was passiert, wenn Künstler im Fernsehen die Kontrolle übernehmen? […] Sie erreichen ein riesiges Publikum, schaffen ein Museum für Millionen.« Mit solcher futuristischen Emphase wird 1969 die Sendung »The Medium is the Medium« auf WHGB-TV aus Boston eingeleitet. Und im gleichen Jahr verkündet Gerry Schum zur ersten Sendung seiner Fernsehgalerie im Sender Freies Berlin: »Der Personenkreis, der durch Galerien und Museeninformiert werden kann, ist minimal […] Verglichen mit dem Buchmarkt wäre das etwa so, als könne ein erfolgreicher Schriftsteller sein Publikum nur über Dichterlesungen erreichen, ohne dass seine Romane in Millionenauflage gedruckt würden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man in der Kommunikationsmöglichkeit zwischen Kunstwerk und Kunstpublikum etwa da steht, wo man in der Literatur vor Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks stand. […] Es ist nicht einzusehen, warum moderne Kunst erst dann in größerem Rahmen publiziert werden kann, wenn sie nicht mehr modern ist.«[43] In dieser Situation lautet Schums Credo: »Die einzige Chance, die ich für die bildende Kunst sehe, ist die bewusste Verwendung des Mediums Fernsehen.«[44] Und schon ein Jahr zuvor hat der WDR Köln sein neues TV-Studio für elektronische Bildbearbeitung mit dem aufwändigen intermedialen Event »Black Gate Cologne« eingeweiht, inszeniert von den Künstlern Otto Piene und Aldo Tambellini. Auch in Schweden und England sowie bei weiteren amerikanischen TV-Stationen kommt es um 1968-1969 fast zeitgleich zur Zusammenarbeit mit Künstlern.[45] Wie kommt es zu diesem erstaunlichen Stimmungswandel, der TV-Sendungen zum Hoffnungsträger der Kunst macht, statt sich an dem TV-Kasten als Stellvertreter für eine Systemkritik abzuarbeiten? Die Impulse kommen sowohl aus der Kunst als auch von den Sendeanstalten. Dabei wird das elektronische Bild um 1970 noch generell mit dem TV-Bild gleichgesetzt. Das zeigen die Titel der ersten großen Ausstellungenim Jahr 1969 »TV as a creative medium« (Howard Wise Gallery New York) sowie »Vision and Television« (Rose Art Museum, Waltham/MA) und die Zeitschrift Art in America betitelt ihr Themenheft »TV– The next Medium«.[46] Von Videokunst ist dabei noch kaum die Rede, obwohl seit 1965 der SONY Portapak als erste sowohl finanziell wie vom Gewicht her ›tragbare‹ Videoanlage für private Nutzung auf dem Markt ist. Zwar arbeiten Künstler wie Bruce Nauman damit, ihre technisch primitiven, aber durch ihre permanente Wiederholung intensiven Echtzeit-Videobänder entstehen durch Performances direkt vor der Kamera, ohne Nachbearbeitung.[47] Doch für eine Fernsehausstrahlung sind solche Videos denkbar ungeeignet, sie haben eher den Charakter von Exponaten, die im ›White Cube‹ einer Galerie neben Fotos oder Objekten ausgestellt werden.
Die Möglichkeit zur autonomen Videoproduktion stimuliert jedoch auch politische Medienarbeit, die eine Gegenöffentlichkeit zum Mainstream-TV produziert und damit provoziert: »Guerrilla Television« lautet das programmatische Ziel der Gruppe um die Zeitschrift »Radical Software«.[48] Die Underground-Video-Bewegungen geraten dabei in den Zweispalt zwischen Professionalisierung und Anpassung oder Radikalisierung und Marginalisierung.[49] Dieses durch den technischen Aufwand des Mediums TV verursachte Dilemma kann erfolgreicher in der Piraten-Radio-Bewegung vermieden werden. Doch für den Video-Underground bleibt das Fernsehen das Mastermedium, wie es die ironische Verdoppelung im Namen der Gruppe »TVTV« (Top Value Television) ausdrückt.
Das Fernsehen als Kunstform der Zukunft sollte also auf mehreren Plattformen statt- finden, in Ausstellungen, in Sendungen und in alternativen Screenings. Doch es sollte keine neo-primitve Videoästhetik haben, sondern eine perfekte Ausnutzung der professionellen Möglichkeiten des Mediums durch Künstler erproben. In diesem Punkt sind sich die Initiatoren der drei Sendungen, die 1968/1969 den Beginn dieser Hoffnungen markieren, einig. Ansonsten gehen sie jedoch von sehr unterschiedlichen Voraussetzungen aus – und darum sehen diese drei Programme so verschieden aus.
Otto Piene und Aldo Tambellinis »Black Gate Cologne« von 1968 wird oft als die erste TV-Kunst-Sendung bezeichnet. Doch das Konzept ist ursprünglich nicht für das Fernsehen entstanden, sondern beruht auf einer zuvor bereits in New York aufgeführten multimedialen Live-Aktion mit Publikumsbeteiligung. Tambellinis Filmprojektionen treffen im Raum auf Lichtobjekte und aufblasbare Objekte von Piene, welche vom Publikum spielerisch bewegt werden – Expanded Cinema im wörtlichen Sinne, wie es schon der Untertitel »Ein Lichtspiel« ankündigt. Das Stück wird vom WDR nicht live ausgestrahlt, sondern im neuen elektronischen Studio E aufgezeichnet. Dabei kommen die Möglichkeiten zur Überlagerung und Mischung der Bilder von fünf Fernsehkameras zum Einsatz. Die Bildästhetik der aus zwei Aufzeichnungen zusammenmontierten und in mehreren Arbeitsschritten immer mehr verdichteten Sendung beruht somit auf einer Verbindung von künstlerischer Inszenierung undfernsehspezifischer Umsetzung im engen Teamwork von Künstlern und Fernsehregie. Es bleibt dabei fraglich, ob die elektronische Bildbearbeitung mit der intermedialen Kunstaktion zur Synthese kommt oder ob beide miteinander um die stärkste Effektwirkung konkurrieren.[50] Doch der WDR kann sich nicht entschließen, mit dem Fernsehen an die Pionierarbeit seines Studios für elektronische Musik aus den 1950er Jahren anzuknüpfen, in der Künstler an die Nutzung der neuen Techniken herangeführt wurden, sondern es bleibt bei einem einmaligen Experiment.[51]
Die Station WHGB-TV in Boston gehört zu den öffentlichen TV-Sendern, die zwar nicht die Reichweite und Finanzkraft der nationalen kommerziellen Networks haben, aber dafür mehr Experimente in ihrem Programm erlauben. Ab 1967 richtet sie mit Unterstützung der Rockefeller Foundation ein »Artist-in-Television«-Programm ein, also genau das, was der WDR in Deutschland versäumt. Fred Barzyk, der kreative Produzent, lädt Musiker, bildende Künstler, Schriftsteller und Tänzer zu experimentellen Projekten ein. Mit unkonventionellen Produktionsmethoden sollen die Grenzen zwischen Technikern und Künstlern überwunden werden. Dabei beruft er sich auf die Theorie von John Cage: »Oft hatten wir bis zu dreißig Videoquellen gleichzeitig verfügbar und zwanzig Leute im Kontrollraum – wenn es jemand zu langweilig wurde, schaltete er ohne Sinn und Zweck einfach zu etwas anderem.«[52] Das prominenteste Resultat der Zusammenarbeit mit Künstlern ist 1969 »The Medium is the Medium«, eine Sendung mit Beiträgen von Allan Kaprow, Nam June Paik, Otto Piene, James Seawright, Thomas Tadlock und Aldo Tambellini. In einem recht heterogenen Mix verschiedener Stile werden dabei innovative elektronische Mittel der Bildgestaltung in allen damals verfügbaren Varianten erprobt. Das reicht von abstrakten Videomustern des Effektgeräts von Tadlock bis zu dem komplexen Zweiwege-Kommunikations-Event »Hello« von Kaprow.[53] Paik lädt ein paar Hippies von der Straße ins TV-Studio zur Mitwirkung ein. Dieses offene Konzeptsetzt er 1970 bei WHGB mit der vierstündigen Live-Sendung »Video Commune« fort. Zu Musik der Beatles wird der von Paik und Shuya Abe entwickelte Videosynthesizer[54] für Genese und Modulation elektronischer Bildereingesetzt, wobei auch das eingeladene Publikum bei der Gestaltung der Sendung mitwirken darf und so ein kollektives kreatives Ereignis in das Medium TV übertragen wird.
Eine klare Konzeption für die künstlerische Nutzung des Fernsehens wird von dem deutschen Filmemacher Gerry Schum seit 1968 entwickelt. Seine visionäre Fernsehgalerie soll ausschließlich Kunst im Medium TV produzieren und präsentieren und keine normalen Ausstellungsräume bestücken. »Eine unserer Ideen ist die Kommunikation von Kunst anstelle des Besitzes von Kunstobjekten. […] Die Fernsehgalerie ist mehr oder weniger nur eine mentale Institution, die nur im Moment der Fernsehsendung zur Wirklichkeit wird.«[55] Schum sieht das Fernsehen als einen neuen Weg der Vermittlungvon künstlerischen Prozessen und Konzepten jenseits des Objekts. Sein konzeptueller Purismus ist der Gegenpol zum multimedialen Aktionismus von Otto Piene und Aldo Tambellini und der Technikeuphorie des WHGB. Er geht nicht von der Faszination technischer Machbarkeit aus, sondern von der aktuellen künstlerischen Entwicklung, die sich mit Harald Szeemanns programmatischem Ausstellungstitel »When Attitudes Become Form: Live in Your Head« zusammenfassen läßt.[56]
Schums Zusammenarbeit mit den Fernsehsendern beschränkt sich deshalb auf die Ausstrahlung und Finanzierung sowie die Inszenierung eines an eine Galerieeröffnung angelehnten Rahmens im Fernsehstudio vor Beginn der Sendung »Land Art«. Die Sendungen selbst werden von Schum jedoch völlig selbstständig produziert, und die einzelnen Beiträge haben für ihn und die eng mit ihm zusammenarbeitenden Künstler unbedingt den Status eines autonomen Kunstwerks. Hierauf beruht auch Schums Weigerung, auf die nach der ersten Sendung laut werdenden Wünsche nach mehr Vermittlung oder Kommentar einzugehen. Vielmehr besteht er auf der ästhetischen Autonomie: »Während der gesamten 38 Minuten der Sendung ›Land Art‹ wird kein einziges Wort gesprochen. Keine Erklärung. Ich denke, daß ein Kunstobjekt, im Bezug auf das Medium Fernsehen entstanden, keiner gesprochenen Erklärung bedarf.«[57]
Sein Gespür für die Entwicklungen der aktuellen Kunst hat ihn zielsicher zu den wichtigsten Künstlern der Zeit geführt.[58] Viele dieser Künstler haben mit Schum zusammen erstmals Stücke für einen Fernsehfilm realisiert – nur wenige haben nach Schums frühem Tod ihre Arbeit mit Film oder Video fortgesetzt. In ihren Beiträgen steht nicht das Medium im Vordergrund, sondern die konsequente Übertragung ihres künstlerischen Ansatzes, deshalb wird auch keinerlei elektronische Bildbearbeitung eingesetzt. »Im Fernsehobjekt kann der Künstler sein Objekt reduzieren auf die Attitüde, auf die bloße Geste als Hinweis auf seine Konzeption. Das Kunstobjekt stellt sich dar als eine Einheit von Idee, Visualisierung und dem Künstler als Demonstranten«, sagt Schum in seiner Einleitung zu »Identifications« (1970). In ähnlicher Weise verbindet er selbst widersprüchliche Rollen in einer Person. Er ist zugleich Vermittler zwischen Fernsehen und Künstlern, Kurator des Programms und Produzent der Beiträge. Dabei führt seine konsequent an der Kunst orientierte Haltung unausweichlich zu wachsenden Differenzen mit den auf breite Akzeptanz zielenden Bedingungen des Fernsehens. Seine Hoffnung, aus der »Fernsehgalerie« eine dauerhafte Einrichtung zu machen, werden nicht wahr, so dass er sich schließlich in den Kunstkontext zurückzieht, um hier mit einer »Videogalerie« auch Videos als signierte und limitierte Auflageobjekte zu vertreiben. Er opfert damit seine ursprüngliche Vision eines nur im Fernsehen existierenden Kunstwerks, bleibt jedoch auf dem am Original orientierten Kunstmarkt ebenso erfolglos.
Die im zweiten Zeitfenster untersuchten drei Beispiele stehen für die Suche nach einer eigenen Kunstform des Fernsehens, die jedoch letztlich ergebnislos bleibt. Sie gingen entweder wie Schum zu einseitig von den Fragen der Kunst aus oder sie suchten eine Sinnfrage des TV-Mediums über die Kunst zu lösen, so wie der WHGB-Workshop. Die Kunst der 1970er Jahre wird jedoch zunehmend konzeptuell und kontextbezogen, sie dematerialisiert sich, wie es Lucy Lippard ausdrückt. Die Materialschlacht des technischenAufwands einer richtigen TV-Produktion stellt hingegen Rahmenbedingungen, welche nicht außer Acht gelassen werden können. Auf dieses Dilemma reagieren eine Reihe von TV-Interventionen und Irritationen, die nicht mit der Ankündigung ›Kunst‹ gesendet werden, sondern plötzlich und unerwartet den Programmfluss unterbrechen. Sie erhalten ihren Sinn nur im Kontext der Sendung, nicht als Videokonserve. Wie nach den mehrfachen Beispielen für eine Synchronität künstlerischer Konzepte fast nicht mehr anders zu erwarten, entstehen auch diese Interventionen fast gleichzeitig, aber meist unabhängig voneinander um 1971.
Vorläufer dieses Typs von Interventionen sind zwei Produktionen Gerry Schums von 1969, Keith Arnatts »Self Burial« und Jan Dibbets »TV as a Fireplace«, dessen Sendung zur Weihnachtszeit den heimischen TV-Kasten in ein flackerndes Kaminfeuer verwandelte. Peter Weibel und Valie Export können im ORF von 1969 bis 1972 mehrere Interventionen platzieren, die sich ebenfalls direkt auf die häusliche Betrachtersituation beziehen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: In »The Endless Sandwich« von 1969 bringt Weibel auch den letzten Couchpotato dazu aufzustehen und in »Facing a Familiy« macht Export 1971 das TV-Bild zum Spiegel der Familie. Ebenfalls 1971 lässt im schottischen Fernsehen David Hall in seinen poetischen »7 TV Interruptions« beispielsweise den TV-Kasten zum Wasserbehälter werden. Diese Art von Interventionen hat sich fast zu einem eigenen Genre entwickelt, dessen weitere Beispiele bis heute reichen.[59] So zeigt »Reverse Television« von Bill Viola 1983 vierundvierzig TV-Zuschauer jeweils für eine halbe Minute und wurde vom Fernsehsender WGHB in Form unangekündigter Inserts gesendet, und die »Monodramas« von Stan Douglas setzen 1991 kurze, poetisch-sinnlose Ereignisse zwischen die Werbeblöcke.
Ohne hier im Einzelnen auf alle Beispiele für solche Interventionen einzugehen, lässt sich feststellen, dass sie teilweise die Wirkungsweise des Fernsehens sehr genau erfassen und sogar seine zukünftige Entwicklung antizipieren. Exports symbolische Übertragung des Familienalltags in das Medium wird schon drei Jahrespäter zur Wirklichkeit, als die Familie Loud sieben Monate lang von einem TV-Team begleitet wird und dem amerikanischen Fernsehpublikum einen Blick in ihr Privatleben gestattet, das den Stoff für eine Miniserie liefert.[60] Die weitere Entwicklung bis zum heutigen Reality TV zeigt die Konsequenzen dieser Überschreitung der Grenze von Privat und Öffentlich auf.[61] Ebenso hat die TV-Werbung sich die Strategie der unerwarteten Intervention zu eigen gemacht. Und ein elektronisches Kaminfeuer, das Dibbets noch ironisch ins Fernsehen setzt, gibt es mittlerweile auf Video als ganz normales Produkt.
Die bisher angeführten künstlerischen Interventionen von 1971 sind alle in Kooperation mit dem jeweiligen Fernsehsender entstanden, der dafür einen Platz in seinem Programm ließ und teils auch die Produktion übernahm. Ein Jahr später erhält diese interventionistische Strategie jedoch eine radikalere Zuspitzung jenseits der Legalität. Als Chris Burden 1972 wegen seiner Aufsehen erregenden Aktion »Shoot«, bei der er sich vor Publikum in den Arm schießen lässt, zu einer Talkshow eingeladen wird, nimmt er vor laufenden Kameras die Moderatorin als Geisel und droht sie mit einem Messer umzubringen, wenn die Sendung unterbrochen wird. Nach dem damals gängigen Modell der terroristischen Flugzeugentführung bringt Burdens Aktion »TV Hijack« eine Live- Sendung in seine Gewalt.[62] Ähnlich wie die politische Aufbruchsstimmung der 1960er Jahre nach ihrer Enttäuschung in der Radikalisierung endet, wird hier jeglicher Utopie einer friedlichen Symbiose von Kunst und Massenmedien eine Absage erteilt. Von vergleichbarer Radikalität ist John Lennons und Yoko Onos Film »Film No. 6, Rape«, 1969 vom ORF produziert und gesendet, in dem eine nicht vorgewarnte zufällige Passantin von einem Kamerateam auf der Straße verfolgt wird, dem sie entkommen will, das ihr aber schließlich bis in ihre Privaträume folgt.
Die konsequente Fortsetzung bilden eine Reihe von Werbespots, die Burden auf eigene Kosten zum üblichen Minutenpreis schaltet. Der bekannteste »Chris Burden Promo« besteht nur aus den Schriftzügen »Leonardo da Vinci, Michelangelo, Rembrandt, Vincent van Gogh, Pablo Picasso, ChrisBurden« und endet mit »© 1976 paid for by Chris Burden – artist«. Der Spot läuft in Los Angeles und New York über zwanzig Mal im normalen Werbeblock zu guter Sendezeit. Die ersten fünf Künstlernamen sind laut einer Statistik die bekanntesten in den USA, und Burden »überzeugt mehrere Sendermanager, dass mein Name ›Chris Burden‹ auch der Name eines Art Business ist, also verkauften sie mir Sendezeit«.[63] Der inszenierte Größenwahn dieses Spots steht für die Hybris jedes Künstlers,der glaubt, über das TV seine Botschaft verbreiten zu können und damit eine Berühmtheit zu erlangen, welche den im Vergleich zum Massenmedium marginalen Kunstkontext übersteigt. Dass bei einem zufälligen Zuschauer durch den Spot Interesse für Chris Burden geweckt würde, ist offensichtlich eine völlig lächerliche Hoffnung. Doch ohne dass jemand diese Sendung gesehen haben muss, trägt sie im Kunstkontext zu Burdens Bekanntheit bei, da »Promo« unter anderem 1977 auf der documenta 6 gezeigt wird. Die Fernsehsendung funktioniert also nur als Konzept, also letztlich symbolisch, aber nicht als Werbung durch die reale Wirkung des Massenmediums. Burden untersucht die Funktionsweise des Mediums nicht nur in ökonomischer, sondern auch in technischer Hinsicht, indem er ebenfalls für die documenta 6 mit primitivsten Mitteln und ohne technische Unterstützung einen Fernsehempfänger nach dem im 19. Jahrhundert erfundenen System der Nipkow-Scheibe baut. Unter dem Namen »C.B.T.V.«, der wie ein amerikanischer Sender klingt, aber nur »Chris Burden Television« bedeutet, wird die Magie des Mediums aufgehoben und die Banalität seiner Funktion vorgestellt. Alle diese Arbeiten von Burden haben mit der Aktion »Shoot« gemeinsam, dass sie die Grenze des Symbolischen zum Realen ausloten, die zugleich die Grenze der Kunst darstellt. Wäre Burden bei »Shoot« oder die TV-Moderatorin bei »TV Hijack« umgekommen, so hätte die so genannte Freiheit der Kunst nicht mehr gegolten und eine Strafverfolgung eingesetzt. Ebenso muss »Chris Burden Promo« ein ›echtes‹ Produkt vorweisen und ebenso zeigt »C.B.T.V.«, wie das Fernsehen ›wirklich‹ funktioniert. Alle Fernsehaktionen von Burden sind exemplarische Aneignung der Realität des Mediums, die aber zugleich die Chancenlosigkeit jedes Künstlers aufzeigen, ernsthaft mit der industriellen Produktion von Fernsehen als Technik, Programm und Institution konkurrieren zu wollen.
Nam June Paik hat vermutlich als einziger Künstler der Pioniergeneration nie die Hoffnung aufgegeben, dass im Massenmedium TV eine künstlerische Arbeit möglich und nötig ist. Heute wird in der kunstgeschichtlichen Würdigung Paiks oft vergessen, dass fast alle seine Videos für das Fernsehen entstanden sind. Den Charakter eines Manifests für das TV der Zukunft hat sein Videoklassiker »Global Groove« von 1973. Im Vorspann heißt es: »Dies ist der Blick in eine neue Welt, wenn Sie jedes TV-Programm der Welt einschalten können und Fernsehzeitschriften so dick wie das Telefonbuch von Manhattan sein werden.« In Anlehnung an McLuhans Vision des »Global Village« lädt das Video zu einer weltumspannenden, lustvollen Reise durch die TV-Welt ein, zum Fest auf dem globalen Dorfplatz des Bildschirms. Damit greift es die Utopie der Völkerverständigung durch das Radio aus den 1920er Jahren auf und nimmt ebenso die Utopien einer globalen Netzgemeinschaft aus den 1990er Jahren vorweg. In diesem Sinne entwirft Dziga Vertov schon 1925 seine Utopie einer Verbindung von Radio und Film, damit alle Proletarier der Welt sich gegenseitig sehen können und so ihre internationale Solidarität entsteht.[64] Hinter der bunten Oberfläche, die bereits die Effekt-Ästhetik von Videoclips vorwegnimmt, steht jedoch ein klares und engagiertes Konzept, das Paik schon 1970 formuliert. Er sieht die Einseitigkeit der nationalen TV-Berichterstattung als Motiv für politische Meinungsbildung, die bis zu Kriegen und Rassenkonflikten führt. Demgegenüber schlägt er den in »Global Groove« simulierten, weltweiten Austausch von Fernsehprogrammen vor: »Wenn wir ein wöchentliches Fernsehfestival zusammenstellen könnten, das aus Musik und Tanz einer jeden Nation besteht, und es über den vorgeschlagenen gemeinsamen Videomarkt frei an die ganze Welt verteilen, würde die Wirkung auf Erziehung und Unterhaltung deshalb phänomenal sein.«[65]
Die heutige Satelliten-TV-Technik hat Paiks Idee mittlerweile für jeden TV-Zuschauerzur erreichbaren Realität werden lassen, der von Paik erhoffte politische Effekt lässt jedoch bisher noch auf sich warten. Medientechnisch gehen Paiks Entwürfe zur Zukunft des Fernsehens also durchaus in Erfüllung, aber ohne die damit verbundene gesellschaftliche Utopie einzulösen. Damit sind sie ein typisches Beispiel für die Rolle derMedienkunst als Erinnerung und Refugium für die uneingelösten Utopien der Mediengeschichte.[66]
Paik verwendet in »Global Groove« wie auch fast allen anderen Videos eine Schnitttechnik, die der musikalischen Komposition nahe steht und keine Narration sucht, sondern auf einer Vielfalt wiederkehrender Motive beruht. Dazu gehört das ständige Recycling früherer Videos in späteren Arbeiten, so dass sich Material aus den 1960er Jahren durch Paiks Werk als Selbstzitat bis heute zieht.[67] »Global Groove« recycelt Stücke aus dem bei WHGB gesendeten Beitrag Paiks zu »The Medium is the Medium«, das Video selbst wurde bei dem Sender WNET-TV produziert und ausgestrahlt, womit bereits ein erster Schritt zur Realisierung seiner Botschaft getan ist. Später hat Paik ähnliche Konzepte zur Grundlage seiner Live-Satelliten-Sendungen gemacht, bei »Good Morning Mr. Orwell« (1984) mit circa 33 Millionen Zuschauern in den USA, Kanada, Europa, Korea, Japan, Mexiko und Brasilien und in noch größerem Maßstab bei »Wrap around the World« (1988), von der es heißt, sie habe weltweit über 50 Millionen Zuschauer in 20 Ländern erreicht. Zweifellos ist Paik damit die in den 1920er und 1960er Jahren programmatisch verkündete Überwindung der Begrenztheit der Avantgarde gelungen – jedoch um den Preis, dass seine Arbeit kaum noch als Kunst wahrgenommen wurde. Diese Satelliten-TV-Projekte stehen deshalb dort, wo seine ersten Fernsehexperimente 1963 begannen: zwischen allen Stühlen. Im Kunstkontext sind sie wegen ihres Entertainment-Charakters kaum rezipiert worden und in der TV-Welt von ihrer konzeptuellen Seite her ohne Nachfolge geblieben.
Im Rückblick haben das Scheitern der Fernsehgalerie von Schum und sein Rückzug auf Video im Kunstkontext einen symptomatischen Charakter. Es wird klar, dass mit dem Besitz autonomer Produktionsmittel in Form von Videokamera und Rekorder die Macht der Institution Fernsehen noch lange nicht gebrochen ist. Die Gleichsetzung von Fernsehen und Video, wie sie noch um 1970 den Sprachgebrauch kennzeichnet, wird nun durch den Begriff ›Videokunst‹ abgelöst. Damit tritt jedoch ein völlig neues Paradigma auf: DerAnspruch auf Massenwirkung wird fallen gelassen und stattdessen die private, ja sogar intime und persönliche Dimension des Videobildes von der Body Art und Performance-Kunst entdeckt. Diesen Wandel zeigt beispielhaft die Publikation »The New Television: a public / private Art« zur Konferenz, die 1974 im Museum of Modern Art stattfindet, deren Titel sich zwar noch auf das Fernsehen bezieht, deren Beiträge aber fast nur noch über Videokunst sprechen.[68] Diese Abgrenzung kommt in aller Deutlichkeitzum Ausdruck, wenn bei der documenta 6 von 1977 über dem Eingang zur Videothek das Zeichen »VT ≠ TV« (Videotape ist nicht gleich TV) prangt. Dass anlässlich dieser sogenannten ›Mediendocumenta‹ dennoch eine Live-Satelliten-Sendung zur Eröffnung und ein umfangreiches Programm mit Kunstvideos im Fernsehen gezeigt werden, folgt diesmal weniger der Initiative der Künstler als der Ausstellungsmacher, die ihrem Konzept so zugleich eine mediale Präsenz verschaffen. Ulrike Rosenbach, die mit Schum eng verbunden war, fasst die Entwicklung so zusammen: »Das Fernsehgerät, der ›Altar‹ der modernen Familie würde es mindestens 60% aller Mitbürger ermöglichen, unsere Sendungen zu empfangen. Das waren unsere Theorien, unsere Träume. Wir wollten mit Videosendungen einen Verbreitungsgrad von Kultur erreichen, den kein Museum, keine Galerie und kein Buch hätten leisten können. […] Übersehen wurden die Machtstellung des Fernsehens, seine Starrheit und seine gesellschaftliche Ideologie, die unsere Walter-Benjamin-Theorien naiv und spassig finden musste.«[69]
Für die jüngere Generation von Videokünstlern, die das Fernsehen seit ihrer Kindheit kennt, hat es keinerlei utopischen Charme mehr. Es wird statt dessen mit einem gewissen Fatalismus so wie eine Naturgewalt als unveränderbar betrachtet. Ende der 1970er Jahre entwickeln sich deshalb, wie schon in den frühen 1950er Jahren, verschiedene Strategien der Arbeit in Bezug auf die Massenmedien, die parallel nebeneinander stehen:
* die analytische De-Konstruktion des Massenmediums mit den Mitteln der Kunst (Dan Graham, Dara Birnbaum, Klaus vom Bruch, Marcel Odenbach),
* die Annäherung an das Fernsehen unter teilweisem Verzicht auf die Exklusivität des künstlerischen Purismus (Laurie Anderson, John Sanborn, Robert Wilson, Zbigniew Rybczynski),
* die subversive Strategie der künstlerischen Besetzung von Nischen in der expandierenden Medienlandschaft (Rabotnik TV, Paul Garrin, Kanal X, Brian Springer),
* die direkte Zusammenarbeit mit dem Fernsehen zur Entwicklung innovativer Medientechniken (Douglas Davis, Van Gogh TV).
Alle diese Strategien lassen sich als post-utopisch und teils auch als post-modern bezeichnen. Sie werden hier in den Kapiteln »Real/Medial« und »Soziale Technologien« eingehender untersucht. Die Fortsetzung dieser Strategien bis zur ebenso ironischen wie endgültigen Des-Illusionierung, auch betreffs der Alternativen des Internets, findet sich im Künstlerprojekt »Making Sense of It All« von Blank & Jeron zu diesem Themenbereich Massenmedien.
© Medien Kunst Netz 2004