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Nam June Paik
»Brief an Dr. Steinecke«

Köln, den 2. 5. 59

Sehr geehrter Herr Dr. Steinecke!

Besten Dank für Ihren Prospekt v. Darmstadt 1959. Ich habe die Freude Ihnen mitteilen zu können, daß meine Antimusik »Hommàge à J. Cage« sehr gut geht, (trotz der schlechten mechanischen Bedingungen), und daß es bis Darmstadt 1959 vollendet wird.
Erster Satz ist:
»Marcel Duchamp + Dostoevsky = K. Schwitters
Varieté != Variation«
Es ist ein Beweis dafür, daß das erhabene von häßlichen und komedischen wesentlich untrennbar ist. Daher muß jeder Zuhörer vor der Aufführung sich so annehmen, als ob er gerade Matheus Passion bis Ende gehört hätte. Natürlich kann nur bißen geschickte Journalist wie Herr Stuckenschmidt diese hohe geistige Anspruch nicht vertragen. Die Materiell ist Radio-collage und Sprache. Die Sprache ist auf ihe primitive Stufe zurückgeführt in der Phonetik und Intonation ziemlich differenziert erscheint, aber Semantik noch nicht geformt ist. Die Rhythmen sind als Einheit mit Atmung, Aktion und Dynamik konzipiert. Dieses steht im Gegensatz zu dem Verfahren der jungen europäischen Komponisten, wo Rhythmus und Dynamik getrennt behandelt werden. Ich habe die komponierung dieses Satzes vor 50 Tagen gestoppt, da ich noch keine Möglichkeit zu synchronisieren habe. Ich werde sofort weiter schreiben, wenn mein drittes Tonbandgerät kommt. (d. h. ca. 10. 5. 59.)

Zweite Satz ist
»So laangweilig wie möglich:
wie Proust, Palestrina, Zen,
Gregorianische Choral, Missa,
Pariser Café, Leben, Sex.
und Hund, der in die Ferne
blickt«

Ich bin ausgegangen aus alltäglicher Ordnung, d. h. musikantischen Musikwelt, durch die ständige Überraschung und Enttäuschung (im ersten Satz).und durch die extreme La»a«ngweiligkeit (im zweiten Satz). Zweite Satz ist eine Verwarnung zu den Wirtschaft Wunder der Deutschen, wo Fleißigkeit und Dummheit in Eins gebunden ist. Hier kommt ein prepared piano, das ich auf meinen Kosten bis Darmstadt transportieren lassen, und noch ein prepared piano. Es schadet gar nicht dem zweiten prepared piano, da nur die Seiten von 10 Tasten gelockert werden. Die Präparierung des Klavier ist ganz anders als J. Cage. Ausser Klaviere werden einige Spielzeugen. (Auto, Stimmpfeiffe, Panzer, usw) verwendet werden.

Dritte Satz ist eher eine musikalische Philosophie als ein philosophische Musik. Auf dem Lautsprecher klingen Zitaten aus Arnaud, und Rimbaud. Ich paraphrasiere mit der Aktion. Durch eine funktionelle Aktion, die sich ihrer Funktion entledigt, wird die »acte gratuite« auf dem Podium sichtbar. Dieses stellt einen Ausweg von der Erstickung des musikalischen Theaters von heute dar.

Hier wird mein Klavier (zu 50 DM) umgestürzt, Glas zergestört, Eier geworfen, Papier zerrißen, lebendes Huhn loslassen, und Motor rad kommt.

Aber hier handelt sich um kein Humor. Von dadaistischen Künstler sind nur solche Leute, die Humor nicht als Ziel, sondern als Resultat behandelt haben, überlebt. z.B. M. Duchamp, M. Ernst, Arp. Schwitters. (Jetzt ein kleine Collage von Schwitters kostet 50 Thousend Mark). Ich möchte den Dadaismus mit Musik ergänzen, obwohl Dada heute noch für Bildungsphilister ein Tabu ist. Heute setzen Henze und Buffet auf der Krône, wie einst Händel, Rubens, Liszt, Hindemith, Stravinsky und Picasso auf der Krône gesetzt haben. Ich bin überzeugt, daß ich endlich ein völlig neue Stil gefunden habe. Es hat mit bisherigen neuen Musik aus Arie nicht zu tun. Ich möchte von meinem letzten Werk »Sirlahyangga« (1958) zurück treten und anstatt dessen schicke ich Ihnen diese neue Komposition. Sie können gut an die Qualität dieses Stück glauben, da ich selbst im letzten Jahr die Aufführung meiner Komposition annuliert habe, und ich Ihnen mehrmals geschrieben, daß ich keine »Studie« -- ein Durchschnittniveau der »Studiokonzert« – als mein »début« zeigen will.

Die Aufführung ist einfach, da Herr Walther (beste Pianist in Freiburger Musikhochschule) und Frau Kagel ohne Honorar den Spiel übernommen hat. Ausserdem erwarte ich, daß Herr Techniker in Ihrer Bibliothek mit seinem Motorrad kurz hier teilnehmen würde. Ich hatte die Ehre gehabt im März 1958 in seinem Sozius mitzufahren. Die Gesamte Dauer ist ca. 10 Minuten. Ich ziehe für die Aufführung den möglichst spätere Termin, (um genug zu üben) und kleineren Saal. (da prepared Piano nicht laut genug klingt) vor. Und dieses Stück muß am Anfang der Konzert gespielt werden, da die Zuhörer den Regieprogramm, und die Vorbereitung der Bühne nicht sehen dürfen. Ich hoffe, oder glaube (wenn Sie es gestatten), daß Sie dieser ernsten (und nicht restaurativen) Antithese zum »Zwölfton manierismus« die Chance geben würden. (Doch liebe Ich Heute noch Schönberg und Stockhausen sehr) Ich werde die Raumkonzeption meiner Komposition im Kölner Studio realisieren. Ich bitte Sie höflichst mir mitzuteilen, ob die Möglichkeit von Wiedergabe für 2 -- 4 Kanäle auch in diesem Jahr besteht.
Ich möchte auch eine kurze Einfühlung auf dem Programm schreiben. Bis wann muß ich es schicken?

Auf Ihre baldige gute Nachricht
entgegen sehend
Verbleibe ich
Ihr ergebener
Nam June Paik

P.S.
Verzeihen Sie meine schlechte Grammatik.

Der Brief an Dr. Steinecke vom Internationalen Musikinstitut Darmstadt war bereits Paiks zweiter Versuch, im Rahmen der jährlichen Darmstädter Ferienkurse seine »Aktions-Musik« aufzuführen – auch dieser blieb erfolglos.
Abgedruckt in: Nam June Paik, »Niederschriften eines Kulturnomaden«, Edith Decker (Hg.), Köln, 1992, S. 51–53. Paiks Originalschreibweise wurde beibehalten.
© für das Manuskript beim Internationalen Musikinstitut Darmstadt