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Nam June Paik
»NACHSPIEL zur Ausstellung des EXPERIMENTELLEN FERNSEHENS«

(1)

Mein experimentelles TV ist
nicht immer interessant,
jedoch
nicht immer uninteressant,
wie die Natur, die s c h ö n ist,
nicht, weil sie sich schön v e r ä n d e r t,
sondern einfach, weil sie sich verändert.
Der Kern der Schönheit der Natur ist, daß die unbegrenzte QUANTITÄT der Natur die Kategorie QUALITÄT entschärft, die unbewußt mit Doppelbedeutungen vermischt und verunklärt benutzt wird.
1) Charakter
2) Wert.
Bei meinem experimentellen TV zielt das Wort »QUALITÄT« nur
auf den CHARAKTER, aber nicht auf den WERT.
A unterscheidet sich von B,
aber nicht in dem Sinne, daß
A besser ist als B.
Manchmal brauche ich rote Äpfel.
Manchmal brauche ich rote Lippen.


(2)))
2. Mein experimentelles TV ist die erste KUNST(?), in der das »perfekte Verbrechen« möglich ist.................................. Ich hatte nur eine Diode in die entgegengesetzte Richtung gebracht und erhielt ein »wellenförmiges«, negatives Fernsehbild. Wenn meine Epigonen denselben Trick anwenden, wird das Ergebnis vollkommen dasselbe sein (nicht wie bei Webern und Webern-Epigonen)................................welches ist....................................
Mein TV ist NICHT der Ausdruck meiner Persönlichkeit,
sondern nur
eine »PHYSIKALISCHE MUSIK«
wie mein »FLUXUS-Champion-Wettbewerb«, bei dem der Rekordhalter im Langzeitpissen mit seiner Nationalhymne geehrt wird. (Der erste Meister: F. Trowbridge. U.S.A. 59,7 Sekunden.)
Mein TV ist mehr (?) als die Kunst
oder
weniger (?) als die Kunst.
Ich kann etwas komponieren, das höher (?) steht
als meine Person
oder
niedriger (?) als meine Person.


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Deshalb (?), vielleicht deshalb haben der Arbeitsprozeß und das Endergebnis wenig miteinander zu tun,,,,und deshalb,..... war ich bei keiner früheren Arbeit so glücklich während des Arbeitens wie bei diesen TV-Experimenten.
Bei üblichen Kompositionen haben wir zuerst eine ungefähre Vorstellung vom fertigen Werk (das vor-bildliche Ideal oder »IDEA« im Sinne Platons). Dann bedeutet der Arbeitsprozeß, sich durch selbstkasteiendes Bemühen diesem Ideal »IDEA« anzunähern. Beim experimentellen TV verhält sich die Sache jedoch genau umgekehrt. Normalerweise habe ich keine vorbildliche VORSTELLUNG – bzw. kann keine haben – , bevor ich arbeite. Zuerst suche ich den »WEG«, bei dem ich nicht voraussehen kann, wohin er führt. Der »WEG«,,,,,,bedeutet, die Schaltkreise zu studieren, verschiedene »RÜCKKOPPLUNGEN« zu versuchen, einige Plätze abzuklemmen und die verschiedenen Wellen dort einzuspeisen, die Phase von Wellen zu ändern etc......deren technische Einzelheiten ich im nächsten Essay publizieren werde......Was ich jedenfalls brauche, ist ungefähr dieselbe Art von »IDEA«, die amerikanische Werbeagenturen zu nutzen pflegen,.,.,.,nur ein Weg oder ein Schlüssel zu etwas NEUEM. Dieser »moderne«(?) Gebrauch der »IDEA« hat nicht viel mit »WAHRHEIT«, »EWIGKEIT«, »KONSUM«, »ideale IDEA« zu tun, dem, was Platon – Hegel dieser berühmten klassischen Terminologie zuordneten. (IDEA) =
z. B.
»KUNST IST DIE ERSCHEINUNG DER IDEE.«
»ART is the appearance of the idea.«
(Hegel – – – – Schiller)
Der Unterschied sollte unterstrichen werden, weil der »Fetischismus der Idee« mir als das wichtigste Kriterium der zeitgenössischen Kunst erscheint, wie »edle Einfalt und stille Größe« in der griechischen Kunst (Winckelmann), oder die berühmten fünf Kategorienpaare des Wölfflin für die Renaissance und den Barock.


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INDETERMINISMUS und VARIABILITÄT sind die extrem UNTERENTWICKELTEN Parameter in der optischen Kunst, obwohl dies das zentrale Problem in der Musik während der letzten zehn Jahre gewesen ist (so wie der Parameter SEX in der Musik sehr unterentwickelt ist, im Gegensatz zur Literatur und optischen Kunst).
a) Ich machte mir intensiv die Live-Übertragungen des normalen Programms zunutze, die das variabelste optische und semantische Ereignis in den 60er Jahren sind. Die Schönheit des verzerrten Kennedy unterscheidet sich von der Schönheit eines Football-Helden oder der der nicht immer hübschen, aber immer dummen Ansagerin.
b) Die zweite Dimension der Variabilität.
13 Geräte erfahren 13 Arten der Variation in ihren HORIZONTALEN-VERTIKALEN-VIDEO-Einheiten. Ich bin stolz, sagen zu können, daß alle 13 Geräte wirklich ihre inneren Kreisläufe änderten. Nicht einmal zwei Geräte funktionierten nach demselben technischen Prinzip. Nicht eines zeigt die einfache Störung, die auftritt, wenn man zu Hause den vertikalen und horizontalen Kontrollknopf dreht. Ich genoß das Studium der Elektronik sehr, das ich 1961 begann, und auch die Lebensgefahr, mit der ich manchmal konfrontiert wurde, während ich mit 15 Kilovolt arbeitete. Ich hatte das Glück, angenehme Mitarbeiter zu finden: HIDEO UCHIDA (Präsident des UCHIDA Radio-Forschungsinstituts), ein genialer Avantgarde-Elektroniker, der das Prinzip des Transitors zwei Jahre früher entdeckte als die Amerikaner, und SHUYA ABE, der allmächtige Polytechniker, der weiß, daß die Wissenschaft mehr Schönheit als Logik ist. UCHIDA versucht zur Zeit, Telepathie und die Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen, elektromagnetisch zu beweisen.
c) Als dritte Dimension der Variabilität werden die Wellen verschiedener Generatoren, Tonbandgeräte und Radios an verschiedenen Punkten eingespeist, damit sie einander verschiedene Rhythmen eingeben. Diese Schönheit eher alten Typs, die nicht notwendigerweise mit Hochfrequenztechnik kombiniert ist, konnte von dem normalen Publikum leichter verstanden werden, vielleicht weil sie einige humanistische Aspekte aufwies.
d) Es gibt so viele Arten von TV-Stromkreisen, wie es französische Käsesorten gibt. Zum Beispiel erzeugen alte Modelle von 1952 eine bestimmte Art der Variation, die neue Modelle mit automatischer Frequenzkontrolle nicht hervorbringen können.
e) Viele Mystiker sind daran interessiert, aus der EINREIHIGEN ZEIT, der EINBAHNSTRASSENZEIT, herauszutreten,
um die Ewigkeit zu ERFASSEN.
aa) Am vollendeten oder absoluten Nullpunkt anzuhalten, ist eine klassische Methode, die Ewigkeit zu erfassen.
bb) Die parallelen Ströme vieler unabhängiger Bewegungen SIMULTAN zu beobachten, ist eine andere klassische Weise dafür.
Aber der arme Joyce war wegen der Ontologie des Buches gezwungen, die sich parallel entwickelnden Geschichten in einem einzigen Buch in Einbahnstraßenrichtung zu schreiben. Die simultane Wahrnehmung der parallelen Ströme von 13 unabhängigen TV-Bewegungen kann vielleicht
diesen alten Traum der Mystik realisieren, obwohl das Problem ungelöst ist, ob es mit unserer normalen Physiognomie ohne etwas mystisches Training möglich ist (wir haben nur ein Herz, einen Atem, einen Punkt, den wir mit dem Auge fokussieren können), und WENN GUT TRAINIERT,,,,,,,,braucht es weder 13 TVs, noch TV, noch Elektronik, noch Musik, noch Kunst........der glücklichste Selbstmord der Kunst....die schwierigste Antikunst, die je existiert hat........Ich weiß nicht, wer diesen platonischen und absoluten Höhepunkt der Kunst erreicht haben könnte,
denn, wenn er ihn WIRKLICH erreicht hätte,
würde ich nicht seinen Namen kennen.
Müßte ich nicht seinen Namen kennen.



Quelle: Paik veröffentlichte im Faltblatt zur Ausstellung in Wuppertal 1963 ein erstes theoretisches Statement zu seiner Arbeit mit TV-Geräten. Das »Nachspiel«, dessen erster Teil hier abgedruckt ist, setzt diese Reflexion fort. Erstmals veröffentlicht in: »Fluxus cc five Three«, 1964. Deutsch in: Nam June Paik, »Niederschriften eines Kulturnomaden«, Edith Decker (Hrsg.), Köln 1992, S. 103–109, sowie Text des Faltblattes zur Ausstellung »Exposition of Music – Electronic Television« ebd., S. 96–99.