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Die filmische Installation »Le Détroit« des kanadischen Künstlers Stan Douglas erzählt eine kurze Geschichte vom Eindringen einer Frau in ein verlassenes Haus, dessen ehemalige Bewohner den merkwürdigsten Hausrat und Plunder zurückgelassen haben. Aber die Story entpuppt sich als zwanghafter Akt, dessen immerwährende Wiederholungen in trübe Schichtungen von Grautönen getaucht sind, als wären sie das Abbild einer reinen Schattenwelt. Ach, könnte man doch mehr erkennen.
drittes Mal gestört. Als sie auf die Büsche vorm Haus schaute, war kein Wind zu spüren. Hastig verläßt sie das Haus. Auf ihrem Weg nach draußen verursacht sie selbst einen Luftzug, der die Schranktür wieder aufspringen und das Blatt Papier zu Boden gleiten läßt. Kurz vor dem Ausgang wird sie einen Fußabdruck hinterlassen. Sie geht zum Auto, nimmt den Scheinwerfer vom Kühler, setzt sich in den Wagen, läßt den Motor an und überlegt. Sie schaltet den Motor wieder ab, steigt aus und stellt wiederum den Strahler auf die Kühlerhaube. Auf dem Weg ins Haus wird sie auf ihren eigenen Fußabdruck treffen, den sie peinlichst auswischt. So setzt sich die Geschichte fort und wird zur endlosen Erfahrung über die Selbstvergewisserung einer schwarzen Frau, vielleicht stellvertretend für die Menschen, die einst das Haus, die Gegend und die verwüsteten Stadtteile Detroits bewohnten, in der der Künstler seine Geschichte angesiedelt hat. »Le Détroit« (frz.: die Meerenge, der Engpaß) ist die sich endlos wiederholende Suche nach einem Geheimnis und nach Hinweisen auf sich selbst, die die Protagonistin nicht mehr ruhenlassen und die sie in der Enge des verlassenen Hauses gefangen nehmen und imimmergleichen Vorgang verharren lassen. Stan Douglas inszeniert eine so banale wie komplexe Gruselgeschichte. Ihm gelingt es, das Unheimliche im Film durch suggestive Kameraeinstellungen, die nächtliche, einsame Szenerie, und einen beunruhigenden Soundtrack aus Außen- und Bewegungsgeräuschen zu schüren und zu verstärken und gleichzeitig die kulturell durch Literatur, Film und Fernsehen tradierten Komponenten und Deutungsmuster des Genres, die das Alltägliche unheimlich und fremd erscheinen lassen, zu dekonstruieren. Der Eindruck des Unergründlichen, Halbbewußten und Verschütteten, ja die tragische Verstrickung werden vom Künstler durch die spezifische Präsentationsweise dieses Filmloops noch weiter gesteigert. Douglas konstruierte für dieses Unterfangen eine komplizierte Installation aus zwei gegeneinander gestellten Filmprojektoren, die die Projektion der Filmschleife auf einer in der Mitte der Projektionsachse aufgehängten, transparenten Leinwand spiegelbildlich verdoppeln. Die identischen Filme laufen minimal asynchron zueinander, sie unterscheiden sich nur durch den Sachverhalt, dass es
sich bei dem einen um eine Negativkopie handelt. Stan Douglas' Film basiert einerseits auf seinen Recherchen über Detroit seit 1997, die er in einer Serie von Fotografien festgehalten hat und einer okkulten Spukgeschichte von Shirley Jackson »The Haunting of Hill House« von 1959. Eine Besonderheit des nach der Buchvorlage 1963 gedrehten Films (»The Haunting«) war sein Verzicht auf in einem Geisterfilm zu erwartende Special Effects, ohne die beunruhigende bis verstörende Atmosphäre zu mindern.
Bevölkerung Amerikas kam es seit Mitte der 60er Jahre immer wieder zu Konfrontationen. 1967 entluden sich die Spannungen in den Detroit Riots. (Detroit war schon 1943 Schauplatz von Rassenunruhen gewesen.) Sie beschleunigten ein weiteres Mal die Bewegung der weißen und wohlhabenderen Schichten aus der Stadt Detroit heraus und prägten ein durch Fernsehen und Nachrichten über ganz Amerika verbreitetes Bild von einer gewalttätigen, zu meidenden Stadt, in der sich weder das Wohnen noch das Arbeiten und schon gar nicht der Einsatz weiterer privater Investitionen oder staatlicher Subventionen lohnte. Jeder, der die Möglichkeit hatte umzuziehen, verließ Detroit, so auch in zunehmendem Maße die schwarze Bevölkerung. Die Stadt verkam mehr und mehr zur Geisterstadt. Hier knüpft der Künstler an. Der Bezirk Herman Gardens, in den Stan Douglas die Außenaufnahmen für sein Filmprojekt legte, wurde in den vierziger Jahren als eines der größten amerikanischen öffentlichen Wohnprojekte für die weiße Bevölkerung erbaut. In den fünfziger und sechziger Jahren zogen schwarze Familien in die leer gewordenen Gebäude und in den 1980er Jahren, der Reagan Ära, in der fast alleSozialprogramme gekürzt oder gestoppt wurden, verließen auch diese massiv Herman Gardens oder wurden zur Räumung gezwungen. Heute ist das Viertel fast ausgestorben. Es wird von Straßengangs beherrscht und Abbruchhäuser werden als Crackhäuser zum Drogenhandel benutzt. Die Gegend ist unsicher geworden. Sie wird als »blight«, als Schandfleck, bezeichnet, vor dem in Stadtführern ernstlich gewarnt wird. In seiner Fotoserie erfasst Stan Douglas die Ansichten der Stadt als Zeugnisse einer zivilisatorischen Katastrophe mythischen Ausmaßes, die großflächig von der Natur überwuchert werden. Es sind die realen Ruinenschauplätze, die wirklichen Wüsteneien einer bis dato erdachten und genüsslich ausgemalten Kulissenwelt eines »Planeten der Affen« oder »Logan‘s Run« des Effekt-Kinos Hollywoods.
der Name identisch mit der der Protagonistin seines Films. Sie verbringt eine gewisse Zeit in einem vermeintlichen Spukhaus. Allmählich überlagert sich die Identität einer früheren Bewohnerin des Hauses mit der von Eleanor, versucht mit ihr identisch zu werden und sie im Haus in einer anderen Zeit, man könnte vom Eintreten in eine Zeitschleife sprechen, festzuhalten. Die Erzählung ist grandios, da sie einerseits das Haus wie einen eigenen Organismus, in welchem sich seine Geschichte selbstständig gemacht hat, beschreibt und andererseits die Phänomene im Haus und ihre Deutung, ja ihre mögliche fiktionale Erzeugung, nicht von den Gedankengängen Eleanors trennt und somit nicht klar wird, ob die Frau ihrer lebhaften Fantasie wegen verrückt wird oder ob tatsächlich der Geist des Hauses Macht über sie gewinnt. Den Vorgang der Überlagerung visualisiert Stan Douglas buchstäblich durch das Positiv/Negativ-Spiegelverfahren und stellt die Verstrickung Eleanores mit ihrer Umgebung und ihren verdrängten Bewusstseinsanteilen mit Hilfe des technischen Kniffs des Loops dar. Die apparativen Komponenten der Installation entsprechen also der Grundstruktur der Erzählung, formal wie inhaltlich.Verdrängung wird als Überlagerung, Verschiebung und Verdichtung perfekt ins Bild gesetzt, aber das beiseite Geschobene kommt immer wieder zum Vorschein. Es wird ein anderes Bild eingeführt, welches zum Erkennen wie zum Verkennen der Welt, des sozialen, des historischen wie des realen Kontextes, führt – ähnlich dem Spiegelstadium wie es Jacques Lacan beschreibt. Der von Stan Douglas inszenierte dunkle Raum wird zum experimentellen Dispositv zur Vergegenwärtigung eines fiktiven sowie eines realen und eines psychoanalytischen Vorgangs, den wir Bewusstseinsbildung nennen. Man könnte die Leinwand nach Kaja Silvermans Buch als »Die Schwelle zur sichtbaren Welt« bezeichnen. Die Wand als Membran zwischen zwei Welten. Durch die Bespielung der Leinwand von zwei Seiten wird die Wand selbst zur Schwelle zweier paralleler Projektionen und damit zweier Bildräume. Der eine ist negativ konstruiert, der andere positiv. Sie verhalten sich spiegelbildlich zueinander. Das Spiegelbild scheint auf das Bild kopiert oder im Falle von Personen verhalten sie sich wie Rücken an Rücken. Zweimal das Gleiche, oder besser eine Variation des Gleichen, könnte man sagen, die
Bildebenen und Projektionsstrahlen durchdringen sich jedoch, da die Leinwand semitransparent ist. Das eine Bild verdrängt das andere und verändert somit die Wahrnehmung. Es entstehen Solarisationsprozesse, das helle Licht von Eleanores Taschenlampe bohrt sich in das Bild der anderen Seite, die leichte Asynchronisation der beiden Filme zueinander erzeugt Verdoppelung und Überschneidung der Konturen der Protagonistin. Die Bilder verhalten sich wie Schatten zueinander. Der Prozeß des Unheimlichen nach Sigmund Freuds Begriffsbildung wird so direkt visuell erfahrbar gemacht. So fallen das Reale und das Imaginäre ineinander. Douglas entwirft parallele Welten. Er transformiert jedoch durch die Überlagerung die gespiegelte Welt, die als frühkindliche Wahrnehmung, als Identifikation mit der eigenen Gattung, und dem Erkennen der eigenen Person und somit der Konstitution des Ichs als bewußte Wahrnehmung seiner selbst in der Umwelt beschrieben wird: Das Bild erscheint eingetrübt, die Auflösung beeinträchtigt, Konturen verwirrend, Einstellungswechsel erzeugen als Blitze wahrnehmbare Lichtveränderungen. Die Prägnanz nimmt in dem Maßeab, wie die Projektionsoberfläche sich reliefartig auszudehnen scheint.
technisch (optisch, physikalisch) folgerichtig wäre – nein, es passiert das Gegenteil. Im »Schatten«, den man wirft, sieht man den Film klarer, deutlicher und konturenschärfer, da die Überlagerung aufgehoben ist und nur noch das Bild des entgegengesetzten Projektors durchscheint. Es ist als würde man sich in den Film hineinbegeben. Man lässt seine materielle Hülle hinter sich und tritt in die andere Ebene, wird selbst zum Mittel der Projektion und damit Teil des Films und der Handlung. Der Besucher tritt auf als »Geist« und vervollständigt die Spukgeschichte. Es ist im wahrsten Sinne phänomenal, was sich Stan Douglas da ausgedacht hat und wie scharfsinnig und präzise er diese mögliche Transformation umsetzt. So wird der gesamte Raum für die Installation zum Laboratorium, einem Versuchsaufbau, in dem der Betrachter Teil des Experiments, ja Substanz wird durch seine Entsubstantiierung. Er wird zum für die Filmfigur unsichtbaren Mitspieler. Er hinterläßt jedoch keinen bleibenden Eindruck im Film. Tritt der Betrachter aus dem Licht heraus, läuft der Film sich endlos wiederholend weiter, als hätte diese Verbindung nicht stattgefunden. Es folgt nichts darauf, kein Kratzer imFilmmaterial – nur ein Eindruck im Kopf des Betrachters, der irritierend genug ist, das Gesehene zu stören. Die Kritiker des Buches von Shirley Jackson bewunderten immer wieder, dass die Phänomene, welche sich im Spukhaus ereignen, fast alle rational zu erklären sind. So können wir die Geschichte, die uns erzählt wird, durch unsere Bewegung im Raum verdeutlichen. Wir können jedoch der Protagonistin, auch wenn wir deutlicher und mehr sehen als sie, da die Winkel der Kamera viele sind, nicht helfen. Und wir sehen natürlich deutlicher. Auf der Filmset-Ebene wird dies ganz klar kenntlich gemacht durch den Schwenk der Kamera über eine Wand hinweg in ein anderes Zimmer. Wir können das Päckchen im Gemäuer sehen, das Eleanore nur erahnen, bestenfalls mit ihren Fingerspitzen ertasten kann. Wir sehen auch die Folgen ihres Weges durch das Haus, die Veränderungen, die durch sie vorgenommen werden und die beim Verlassen des Hauses wieder revidiert werden. Das Blatt, die Kleider – nur der Fußabdruck bleibt unausgewischt, sind ein Hinweis auf einen zeitlich zurückliegenden, nicht erinnerbaren Vorgang.
Grippeepidemie des Winters 1919/20, der viele Menschen erlagen. Die Entbehrungen der Soldaten auf dem Balkan im 1. Weltkrieg wurden durch unheimliche Geschichten über nächtliche Blutsauger noch gesteigert, was die Angst und ihr Verlorensein in einer ihnen fremden Umgebung noch verstärkte. Der Hauptdarsteller weckte mit seinem ausgemergelten Gesicht Assoziationen an die hungernde deutsche Bevölkerung. Stan Douglas wiederum schafft ein ähnliches Assoziationsgeflecht in seinem Film. Der gesamte Streifen und seine geloopte Fassung sind metaphorisch lesbar. Die Protagonistin ist schwarz und könnte die Generation der letzten Wohnbevölkerung von Herman Gardens und den Innenstadtbezirken Detroits repräsentieren. Das verwahrloste, verlassene Haus deutet auf die Verarmung der Gegend hin, den Exodus der schwarzen Bevölkerung. Die Möbel verweisen auf die verschiedenen Generationen, die in dieser Gegend wohnten. Das Büro, die Kolonialmöbel, das Spinnrad, der Fernseher, das tragbare Transistorradio im 60er-Jahre Design verweisen auf Erwachsene, Frauen, Männer, Teenager und Kinder. Das Mobiliar des Hauses repräsentiert bessere undschlechtere Zeiten. Es spielt auf Freizeitverhalten, häusliche Repräsentation und Arbeit an. Die frischen Kleider, die Büchse auf dem Boden, die das tropfende Wasser einfängt (oder ist es gar kein Wasser, sondern vielleicht Blut oder Öl, wie es sich in den phantastischen Film oder in das gegenwärtige Detroit als ruinöser Autostadt gut einpaßt), scheinen das Gebäude als temporäre Wohnstatt auszuweisen und könnten auf die immense Obdachlosigkeit, die in Detroit besonders, aber auch in vielen anderen amerikanischen Industriestädten herrscht, anspielen. Das versteckte Objekt kann als Raubgut oder als Rauschgiftpaket gedeutet werden, eine Anspielung auf Kriminalität und Drogendelikte, die in der schwarzen Bevölkerung Detroits verortet werden. Das Auto zu guter Letzt ist ein Symbol für die Stadt der Automobilfabriken General Motors, Ford und Chrysler. Das Zuleuchten mit der starken Lampe könnte so interpretiert werden, dass die Automobilindustrie allein nicht mehr die ökonomische Grundlage für viele Bewohner Detroits sichern kann.
exakten filmtechnischen Entscheidungen in ein hochartifizielles Meisterwerk mit komplexesten Lesarten übertragen wird.
dem historisch, sozial und kulturell überdeterminierten Raum sein. Die daraus folgende Zertrennung von Traditionslinien dürfte nicht erneut die mannigfaltigen Kontexte verdrängen, deren Verlust die Motivationsgeschichte wieder in scheinbar unzusammenhängende Reihungen von Indizien und Evidenzen, wie sie im Film ausgebreitet werden, zerfallen läßt. Das Dossier über »Le Détroit« und damit über die Geschichte einer Stadt und den Zustand unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist noch lange nicht abgeschlossen. Eine überzeugende Strategie zur Lösung des komplexen Problemkreises, dem sich »Le Détroit« metaphorisch nähert, scheint noch nicht gefunden.