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Für den Diskurs der Moderne stellt sich das Spannungsverhältnis zwischen den neuen Medien und der alten Literatur zumeist als Kulturkrise des Erzählens dar. Was in der Makroperspektive einer postmodernen Situation sich als Ende der großen Erzählung als narratives Legitimationspotential darstellt, hat im Binnenbereich epischen Schaffens seine Entsprechung im elegischen Seufzer: »Dass man erzählte, wirklich erzählte, das muß vor meiner Zeit gewesen sein.«[1] Rilke, der diese Worte stellvertretend für eine ganze Generation von Dichtern am Anfang des letzten Jahrhunderts formulierte, knüpft daran aber keine apokalyptische Endzeiterwartung, sondern beruft sich im Abschied auf ein Willkommen einer anderen Art zu erzählen: nämlich aufzuschreiben, was man sieht. Literatur wird zum Aufschreibesystem und damit zum Seismographen nicht mehr hermeneutisch vorgekauter Datenströme, die zumindest sowohl optischer als auch akustischer Natur sind. Rilkes durch Paris promenierender Malte nimmt auch noch die Gerüche etwa von Armut und verbranntem Pommes-Frites-Fett zur Kenntnis, aber es sind vor allem die visuellen Wahrnehmungen und die an das Ohr dringenden Reize,die z. B. die Spracherfahrung eines beliebigen Wortes in die Lautfolge eines Buchstabiergeräusches zerfallen lassen. Auch Benjamins Nachruf auf den Erzähler spricht von einem Funktionswechsel des Mitteilens. Die Erfahrung, die sich wie die Hand des Töpfers im Erzählten abzeichnen soll, weicht in den neuen Medien dem Erlebnis, das im Sog der Information mit ihrer Distanzlosigkeit, ihrem Sensationscharakter, ihrer Augenblicklichkeit des Bedeutens übermittelt wird.[2] Der Film ist so Übertragung von Choc-Reizen für ein Bewusstsein, das wie in Freuds vielzitiertem Modell vom Wunderblock ständig sich häutet und Erfahrungen abstösst, die sich unterhalb der perzeptiven Schwelle einer Aktualität im sogenannten Unbewussten anhäufen.
aufrechterhält, sondern im Sinne von Lyotard das Ende in den Anfang der kleinen, der minoritären, kurz: der vaganten, umherschweifenden und ortsungebundenen Erzählung ummünzt. Es ist nachgerade Markenzeichen der abstrakt als Essayfilme bezeichneten kinematographischen Kunstwerke Markers, dass sie von einer Erzähllust überborden: dass egal, welchen Stoff sie aufgreifen, aus dem Bildervorrat ein neuer Kosmos überdeterminierter Bedeutungen entsteht und dass in diesem Sinne das Spiel mit dem Genre des Dokumentarfilms eher zur ironischen Analyse von dessen latenter Monumentalität gerät. Intendiert ist um es noch einmal zu betonen eher eine minoritäre Monumentalität der Bilder, die erzählerisch zu bedenken gibt, was mehr einem Entfalten als einem Erhabenen gleicht, einem Auseinanderfalten wie in gewissen Papiertechniken des japanischen Origami oder neuen Techniken digitaler Bildbearbeitung wie zapping, windowing, linking, morphing, wie sie in der Tat auch die neueren Arbeiten Markers (»Zapping Zone«, »Level 5«, »Immemory«) beherrschen.[3] Gleichwohl ist in den Analysen der filmischen Möglichkeit dieser neuen Narrativität immer wieder dasBild in den Vordergrund gerückt worden. Selbst Pascal Bonitzer, der in »Le regard et la voix« auf die symbolische Machtfunktion der Off-Stimme hingewiesen hatte, lenkt die Aufmerksamkeit des Drehbuchautors allein auf die Bilder: »Es handelt sich also nicht nur darum, erzählen zu können, sondern im Hinblick auf die Bilder erzählen zu können, unter dem Diktat der Bilder […] Das Bild erzählt die Geschichte«[4] Chris Marker selbst wird gern mit der Bemerkung des Computer-Freundes Yamaneko aus »Sans soleil« zitiert, dass die Bilder eben nur das sein wollten, was sie sind, »nämlich Bilder«. Man könnte darin nahezu das Fortleben eines tief im alten Paragone des Wort- und Bildkünste verwurzelten Vorurteils aus der Frühzeit des Übergangs vom Stumm- zum Tonfilm vermuten, als man befürchtete, die stimmliche Ebene könne die Intensität des visuellen Ausdrucks beeinträchtigen.[5] Dabei spielt bei keinem anderen Cineasten die Stimme, ja die Sprache überhaupt eine derart wichtige Rolle wie in den Filmen Chris Markers. Allerdings folgt die Tonspur dabei ihren eigenen Gesetzen der Montage, die nicht einfach nur wie beim Originalton der bildlichen mise-en-scène entspricht. Bei Marker gibt es praktisch keinen
synchronen O-Ton, alles verdankt sich einer nachträglichen Bild- und Tonbearbeitung, bei der der Erzähler quasi zweihändig und asynchron erzählt. Das Spannungsverhältnis von Bild und Ton oder wie man mit Serge Daney genauer sagen muss von »Blick« und »Stimme« als den beiden Partialobjekten des kinematographischen Begehrens[6] wird gewissermaßen zusätzlich aufgeladen, indem die Einheit sowohl des Kamera- wie die des Erzählerstandpunktes gesprengt wird und die akustische sich von der visuellen Ebene abhebt, d. h. von einem Ort her geredet wird, der selbst nicht sichtbar wird.
verschärfen wollte.[9] Dann sind musikalische Begriffe wie Kontrapunkt oder Leitmotiv für das Verhältnis von Stimme und Blick angemessener, zumindest eine Dialogizität, in der das gegenseitige Anerkennen von Autonomie oder zumindest ein gegenseitiges Respektieren zum Ausdruck kommt. So kann man von einer eigenen Bedeutungsebene sowohl für Sprache als auch für Bild reden, wie Marker selbst in seinem Photoroman »Le dépays« formulierte: »Der Text kommentiert ebenso wenig die Bilder wie die Bilder den Text illustrieren. Es sind zwei serielle Sequenzen, bei denen es natürlich geschieht, dass sie sich kreuzen und aufeinander verweisen, wobei es aber unnötig ermüdend wäre, wenn man versuchte, sie gegenüberzustellen. Man möge sie also lieber in ihrer Unordnung, Einfachheit und Doppelung nehmen, wie man gewöhnlich alle Dinge in Japan nimmt.«[10]
und darin das Zurücktreten der Zeichen lesen.«[11] Barthes' »Verschränkung« der beiden Ebenen von Text und Bild lässt also eher eine akausale Synchronizität als eine Korrespondenz oder einen Kommentar vermuten. Die betont zufällige »Begegnung« zweier Ausdrucksformen, die sich untereinander weder austauschen noch vergleichen lassen, sondern in Konkurrenz zueinander stehen, erzeugt für Barthes einen eigenwilligen Effekt von »Sinnverlust«, der im Moment des genannten Zurückweichens der Zeichen auch als wie Barthes es an anderer Stelle genannt hat konnotierter »effet de réel«[12] zu lesen ist. Eröffnet wird durch diese zufällige, unvorhersehbare und unkalkulierbare Begegnung ein Reichtum von Einsichten, er gibt etwas neues zu sehen und zu verstehen.
der Ausparung aus dem Sichtbarkeitsfeld und damit ihrer Ortlosigkeit verdankt, die ins Feld der sichtbaren Präsenz eine bedrohliche Abwesenheit des Wahrheitsgrundes der klanglichen Effekte einbrechen lässt. Für die französische Filmtheorie hat sich dieser Problemkomplex sehr schnell mit psychoanalytischen Termini verbunden, die vor allem der Lacan- Schule entstammen. Lacan war es schließlich, der die Partialobjekttheorie der klassichen Freudschen Triebtheorie um Blick und Stimme erweiterte, der audiophone und skopophile Zusammenhänge ins libidinöse Szenario integrierte. Vor diesem theoretischen Hintergrund hat der Filmanalytiker Michel Chion in seiner bahnbrechenden Studie zur »Stimme im Kino« dem Phänomen einen Namen verliehen. Er präzisiert, dass es den Ton natürlich nicht gibt, sondern dass es sich im Grunde um die Probleme einer Lokalisation und Inkarnation akustische Phänomene handelt, um die Hörbarkeit der Stimme in einer räumlichen Konstellation. Im Gegensatz zum Visuellen mit seiner Partialität und seiner Gerichtetheit ist das Auditive »omnidirektional«, d. h. es überschreitet bzw. besser überbordetden Sehausschnitt in jeder Richtung und Hinsicht. Chion erinnert hier an die schon frühen Erfahrungen des Kindes im Mutterleib, die eine auditive Beziehung prägen, bevor sich das Bild ihr aufsetzt. Das Beunruhigende an der Stimme zeigt sich also, wenn sie losgelöst im Raum erklingt, ohne einem punktuellen Sprechakt bzw. einem lokalisierbaren Sprecher zugeordnet werden zu können. Sie nimmt den Zuschauer gefangen, orientiert seine Phantasie im Außen des imaginären Filmschauplatzes. Dieses Ersetzen der inneren durch die äußere Stimme wird schon am Übergang vom Stumm- zum Tonfilm spürbar oder, wie Chion schreibt: »Es ist also nicht die Abwesenheit der Stimmen, die durch den Tonfilm gestört wurde, sondern vielmehr die bis dahin dem Zuschauer belassene Möglichkeit, sie sich nach Gutdünken einzubilden.«[14] Ausgehend von einer Kritik an der Vernachlässigung der Stimme die einerseits im Sammelbegriff »Ton« unterzugehen droht, andererseits auf »Sprache« reduziert wird rekonstruiert Chion eine »vokozentristische« Entwicklung des Films ausgehend von Phänomenen des Hörens ohne Sehen. Das Grundphänomen einer fundamental der
Sichtbarkeit entzogenen oder in ihrer Reinheit als Stimme ertönenden Vokalität nennt Chion akusmatisch (»présence acousmatique«), wobei er sich auf die Akusmatiker als Sekte der Pythagoräer bezieht: Für sie verband sich der Akt der höchsten Offenbarung von Wahrheit damit, dass der sprechende Priester hinter einer Zeltbahn verborgen blieb Modell für ein gewisses Divan-Setting unserer Tage, bei dem ebenfalls die Instanz der Wahrheit dem Blick des Betroffenen entzogen bleibt.[15] Wobei nur am Rande vermerkt sei, dass auch Chris Marker immer wieder gern als ein später Repräsentant der Schule des Pythagoras gesehen wird. Die Frage, die sich bei der Filmanalyse folglich stellt, betrifft nicht allein das Verhältnis von Ton und Bild, sondern ob die Quelle der Stimme gesehen wird oder nicht d. h. der Stimme als allmächtiger, allwissender, allgegenwärtiger Instanz, die alles sieht bzw. weiß. In der Entwicklung des Kinos zeigt sich Chion zufolge eine Doppelstrategie zwischen »voix acousmatique«, der »unsichtbaren Stimme«, und »écoute visualisée«, der an eine Quelle des Tons, einen sprechenden Körper zurückgebundenen Stimme. Chion unterscheidet gewissermaßen zwei Typen vonFilmen, solche, die vom Bildmaterial ausgehend den Ton als beigeordnet behandelt, und solche (vorwiegend auf Geheimnis- und Spannungsmomente ausgerichtet), die mit akusmatischen Effekten der Stimme beginnen und diese folglich erst durch eine nachträgliche »désacousmatisation« einem Sprecher bzw. einer Inkarnation ihres Ursprungs zuweisen.[16] Im ursprünglichen Sinne »acousmatique« sind also nur die Stimmen, die unsichtbar bleiben. Das, was Chion ein echtes »acousmêtre«, nennt, d. h. ein akusmatisches Seiendes oder Wesen (»être acousmatique«), liegt nur vor, wo die Stimme sich jeglicher Inkarnation entzieht, wo sie auch nicht meßbar, kalkulierbar ist (also nicht mit einer Akusmetrie zu verwechseln ist), bzw. wo sie im Gegensatz zur visuellen Identifikation bleibt. Es handelt sich also immer auch um einen gewissen Unheimlichkeits-Effekt, und als Paradebeispiel wird immer wieder Fritz Langs »M - Eine Stadt sucht einen Mörder« angeführt, wo zuerst nur der Schatten des Kindermörders auf der Litfasssäule mit dem Fahndungsplakat sichtbar wird und die Stimme aus dem Off sich an das kleine Mädchen richtet. Paradigmatisch vollzieht sich hier die Erschütterung des visuellen
Eindrucks durch die kontrastierende Anwesenheit der Stimme als Abwesenheit für das Auge bzw. als optische Anwesenheit nur in supplementären Effekten einer schattenhaften Spur. Chion spricht in diesem Zusammenhang auch vom »ombre parlant«, wohl wissend, dass Victor Hugo bei seinen spiritistischen Sitzungen auf Gernesey ebenfalls von »bouches d'ombre« sprach. Diesem gesichtslosen, körperlosen, ortlosen »Stimme-Sein« eignet daher immer auch eine numinose Macht, die Aura einer göttlichen Stimme letztlich als »acousmaître«. Vertrauter nennt Chion dagegen die akusmatischen Wesen in Gestalt von Kommentatoren, die sich zwar auch als Off-Stimme nicht im Bild zeigen, die aber dort auch nichts zu suchen haben. Sie werden zu Erzählern (auch Ich-Erzählern), zu Autoren (im Sinne des Auktorial-Erzählers), aber auch zu Antagonisten des Dargestellten, und sind mehr oder weniger dem erzählten Geschehen gegenüber distanziert. Das filmische »acousmêtre« (im Gegensatz zum radiophonen, spiritistischen, psychiatrischen) verweist zugleich immer auf die spezifisch kinematographische Gleichzeitigkeit von Bild und Ton im Unterschied zumTheater, wo der Platz von Szene und Off-Stimme fixiert ist und repräsentiert damit einen anderen Umgang mit Raum und Zeit. So kann eine nicht sichtbare Stimme »anwesend« sein, indem sie zuvor sichtbar war und die sprechende Person nur den Sehausschnitt des Kaders verlassen hat oder eben im nachhinein unsichtbar wird. Eigentlich ist der kinematographische Triumph des »acousmêtre« wesentlich ein Effkt des Unheimlichen der Stimme, die zugleich außerhalb und innerhalb des Bildes sein kann, d. h. letztlich weder drinnen noch draußen verortbar ist: »Das kinematographische Acousmêtre ist seinerseits also zugleich für den Zuschauer off, außerhalb des Bildes, aber gleichzeitig ist es in diesem Bild, hinter dem es hervorkommt und zwar real (im klassischen Kino) oder imaginär (beim Fernsehen oder Autokino etc.). Als ob die Stimme auf der Oberfläche umherstreifen würde, zugleich drinnen und draußen, ohne einen Ort, an dem sie sich festmachen ließe.«[17]
auch als Vertreter einer ästhetischen Position zitiert, die von Mallarmé über Giraudoux bis Blanchot und darüber hinaus reicht und für die als oberster Grundsatz gilt, dass das Werk sprechen soll, nicht der Künstler. Daher die vielfältigen Doublierungsspiele Markers nicht nur als Autor der Werke, sondern auch als Autor im Werk: als auktoriale Abwesenheit in der Anwesenheit der anderen Stimmen, die aus dem Off sprechen und im Namen von wieder anderen bis hin zu den künstlichen Stimmen ganz früh noch in Form des Synthesizers Hayao Yamanekos in »Sans soleil« bis hin zur Computervoice in »Level Five«. Überhaupt kristallisiert sich für Marker im akusmatischen Phänomen des Films das Problem der Autorenschaft, das selbst schon per se ein hochdialektisches Spiel der Anwesenheit in der Abwesenheit und Abwesenheit in der Anwesenheit eröffnet. Im Essay-Film spricht eine akusmatische, d. h. nicht visuell identifizierte Kommentatorstimme nur scheinbar im Namen des Autors: Sie kann wie in »Sans Soleil« weiblich sein (oder wie in der deutschen Synchronisation die einer männlich klingenden weiblichen Stimme sein) und sich mit partiellen Zitaten von fiktiven, in der Ich-Formsprechenden Briefen angeblich des Kameramanns abwechseln, wobei hierbei wiederum Formulierungen aus dem Zitatenschatz der Lieblingsdichter Markers (vor allem Giraudoux und Michaud) stammen können wie u.a. in der »Lettre de sibérie« die exordiale Formel Michaux's: »Je vous j'écris d'un Pays Lointain.«[18]
montierte Reihe von Bildern mit Schwarzbildern abwechseln, zu denen die Stimme vom Sehen des Glücks spricht eine Technik, die auch bei Wenders am Anfang von »Tokyo-Ga« im Zusammenhang des Motivs der Erinnerung gebraucht wird), als deiktisch verschobene Erfüllung des stimmlichen Sprechens im Zeigen des Gesprochenen wie in profaner Fortsetzung einer Theologie der adamitischen Namensgebung, wenn in den Filmen das nächste Bild mit den Worten »ich zeige Ihnen …« eingeführt wird und zum Gegenstand (z. B. ein Fluss) der Name erklingt, wobei auch dabei ironische Brechungen nicht auszuschließen sind und beispielsweise in »>Lettre de sibérie« die Eloge auf das Rentier (renne) mit Bildern der Pariser Métrostation »rue de Rennes« kombiniert wird oder wenn die direktionale Stimme des Computers in »Level Five« die hermeneutische Initiative ergreift und das rätselhafte Programm der Schlacht von Okinawa zusammen mit dem »Montage-As« Chris knackt, dessen Stimme nur aus dem Off zu hören ist und nur einen starken Effekt der Desakusmatisation im Gesicht der vor Mann und Maschine staunenden Frau erfährt. Wer also spricht? Immer das Werk, aber wer macht das Werk sprechen?Wer beherrscht es in der akusmatischen Weise eines ubiquitären Bauchredners? Als Hypothese sei hier in den Raum gestellt die Frage: ob nämlich vielleicht die ganze Inszenierung des Phantoms Chris Marker[19] sich nicht auch dem »acousmêtre«-Effekt der Präsenz des Künstler als akousmatische, nicht visualisierte oder verkörperte Stimme verdankt?
klingenden Bestimmungen von Barthes und Marker betont hatten um die Befreiung der Bilderzählung, die nicht mehr zur Illustration oder zur Imagination einer allein sprachlichen Semantik dienen soll. Umgekehrt muss auch der Text nicht mehr die Wahrheit der Bilder offenbaren, sondern kann sich mit gleichsam ikonischer Unverbindlichkeit der Chronik der laufenden Ereignisse im universe of discourse widmen, so wie auch die optische Spurensicherung nur Bilder liefert, die eben nur das sein wollen, was sie sind, nämlich Bilder. Marker überlässt die pictura ihrer Dialektik der Verweisung auf andere abwesende Bilder, um durch die Schrift der Bilder eine neue Lesbarkeit der Dinge zu erschließen: eine analytische Lektüre des Visuellen, die zugleich seine Kehrseite oder Abgründe der Einbildung, des Gedächtnisse oder Wissens einschließt. Marker hat schon seit seinen frühen Filmarbeiten diese Dialektik des Bildes in der doppelten Darstellungsfunktion von Laut- und Leinwandbild entfaltet. Die Realisierung in »Lettre de sibérie« hat ihm das emphatische Lob André Bazins eingebracht, der von einer grundlegenden Erneuerung der Beziehung zwischen Wort und Bild als Dialektik und alsneuartige »horizontale« auf das Gesagte rekurrierende statt linear von Bild zu Bild ablaufende Montage im filmischen Essay sprach.[20] Bazin war auch der erste, der die Straßenszene in Irkutsk berühmt machen sollte, in der Marker auf die geniale Idee verfallen war, eine dreigliedrige Szenenabfolge eine Straße mit sich begegnendem Bus und Limousine, Bauarbeitern beim Glätten einer Fahrbahndecke, ein das Bild durchkreuzender Stadtbewohner dreimal mit einem jeweils unterschiedlichen Kommentar zuerst prokommunistisch propagandistisch, dann zynisch defätistisch und schließlich ernüchternd faktisch zu wiederholen (»Lettre de sibérie«) Bazin versucht gleichwohl, die Aussagekraft des Bildes doch wieder zugunsten einer Parteinahme für die Stimme zurückzustellen, indem er eine »Intelligenz« beschwört, deren »direkter Ausdruck« zudem »das Wort« sei, so dass der Zusammenhang der Bilder sich erst dieser »verbalen Intelligenz« verdanke wie einer Art hegelschem absoluten Geist, der in sich die dialektische Dreifaltigkeit der Bildaussage enthält. Was Marker damit aber überzeugend verdeutlicht hat, ist jenes Faktum, das in der deutschen ideologiekritischen
Tradition unter dem Stichwort der »Text-Bild-Schere« bekannt geworden ist, d. h. der wechselseitigen Verfremdung von Aussagen textueller Natur durch konträre Bildschnitte und bildlicher Evidenz durch widersprechende Kommentare.[21]
Für diesen ist die »voix off«, die parallel zu den Bildern montierte Tonspur, eine parasitär den Bildern aufgesetzte Struktur, die sich als Ort aller semantischer Macht behaupten will. Dagegen setzt Daney eine Strategie der »démultiplication (non plus une voix mais des voix)«, eine »politique des voix«, die es den Stimmen erlaubt, als »voix in« ins Bild materiell einzudringen und sich dort in einem visuellen Doppelgänger abzuzeichnen, als »voix out« ihre körperliche Ausstoßung oder Abstoßung zu inszenieren (im Sinne auch einer Pornographie der Stimme), als »voix through« sich im Bild von den Körpern und Mündern abzulösen.[23] Im Werk von Marker finden sich unzählige Beispiele für solche dekonstruktive Desakusmatisation im Sinne einer Kontrastierung des »acousmêtre« seinen defizienten Inkarnationen gegenüber oder besser gesagt: im Sinne einer Ablösung der Stimmen von der Herrschaftsdialektik des Off-on, überhaupt einer Ablösung von körperlichen Wesenheiten, in denen sie sich zu realisieren haben, zugunsten einer freien Zirkulation als Objekte unter anderen Objekten im Bild. Etwa Filme wie »Le fond de l´air est rouge« spielen mit der Figur der»talking heads«, in denen Marker ironisch die rhetorischen Strategien der Volksredner wie z. B. Fidel Castro demontiert. Dieser wird in einer Kette von Wiederholungen in immer wieder derselben Situation gezeigt, wie er umgeben von einem Wald phallischer Mikrophone seine Ansprachen ans Volk ausrichtet, indem er in den Beifallpausen an den beweglichen Hälsen der Mikrophone manipuliert, bis zu der einen Situation, in Moskau, wo die Mikrophone festgeschraubt sind und sich nicht bewegen lassen, woraufhin der Redner, irritiert, ungläubig, ins Stocken gerät, ja zu verstummen droht und seine Stimme sich buchstäblich am Gestell der Rede bricht. Was bleibt dann für die akusmatische Strategie des Filmautors Chris Marker selbst zu folgern übrig? Die vorläufige Antwort auf die implizit gestellte Frage müsste vielleicht lauten, dass Marker die Position des »acousmêtre« als absoluten Signifikanten eines »acousmaître« bzw. als Position eines absoluten Wissens aufbaut, nur um sie zu destruieren, karikieren und in diesem Sinne zu desakusmatisieren: nämlich zu exponieren im Spiel von Verbergung und Entbergung, wie er es auch an sich selbst betreibt mit all seinen