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»The first blow against the monolithic accumulation of traditional film conventions (already undertaken by radical filmmakers) is to free the look of the camera into its materiality in time and space and the look of the audience into dialectics, passionate detachment.« (Laura Mulvey) [1] »But cinema, because it is a multiple system, could develop and elaborate the semiotic shifts that marked the origins of the avant-garde in a uniquely complex way, a dialectical montage within and between a complex of codes. At least, writing now as a film-maker, that is the fantasy I like to entertain.« (Peter Wollen) [2]
Sphinx. Die Sphinx des griechischen Mythos wird als Überrest und verschüttete Spur einer älteren, matriarchalen Kultur gedeutet, die es neu zu entziffern gilt. Zum anderen überlagern Mulvey/Wollen das Rätsel der Sphinx aus dem griechischen Mythos (welches bei Freud nicht weiter thematisiert wird) mit Freuds Ausführungen zur Weiblichkeit. Diese wurde von Freud explizit als »das Rätsel« eingeführt. [5] Erst in dieser intertextuellen Überlagerung des griechischen Mythos mit Freuds Schrift »Die Weiblichkeit« entsteht der Ausgangspunkt für den pluralisch formulierten Titel des Films: »Riddles of the Sphinx«. Auch wenn der Film selbst keineswegs eine Freud-Lektüre unternimmt, sondern seinen Schwerpunkt auf eine zeitgenössische Frau und ihr konkretes Alltagsleben legt, so leuchtet im Titel dennoch so etwas wie eine »Rückkehr zu Freud« auf, die das als Counter-Strategie vorgetragene Filmprojekt in eine bisher wenig beachtete Nähe zu intertextuellen und dekonstruktiven Strategien rückt.
»niederschriften« als Diskursfragment Freuds in seinen eigenen Text montiert, wobei er dieses Wörtchen gleich dreifach als einen anderen Diskurs herausragen läßt bzw. kenntlich macht: als original deutsches Wort im englischen Text, als Kursive und über die verweisende Klammer »(Freud's word)«, die sich ausdrücklich von den üblichen Formen der Zitation unterscheiden. Wollen demonstriert hier in geradezu didaktischer Art sein theoretisches Verständnis von einem anderen Kino als offenem, mehrstimmigem Diskurs. Der Text folgt dabei einer Liste von Elementen, die Wollen ironisch als die sieben Kardinaltugenden, bzw. als die sieben Todsünden des Kinos bezeichnet. [6] Diese Elemente lassen sich anschließend in »Riddles of the Sphinx« wiederfinden. Auch Mulvey räumt gleich zu Beginn ihres Aufsatzes ein, dass Strategien für ein anderes Kino nicht aus dem Nichts entstehen: »There is no way in which we can produce an alternative out of the blue, but we can begin to make a break by examining patriarchy with the tools it provides, of which psychoanalysis is not the only but an important one. We are still separated by a great gap from important issues for the female unconscious which arescarcely relevant to phallocentric theory: the sexing of the female infant and her relationship to the symbolic, the sexually mature woman as nonmother, maternity outside the signification of the phallus, the vagina …« (Mulvey 1975/1986, 199). [7] Auch bei Mulvey findet sich die Verbindung von Counter-Strategie und Dekonstruktion zunächst in ihrem Bezug auf die Psychoanalyse. Mulveys Verschiebungsarbeit fächert dann die singuläre Weiblichkeit Freuds auf, in unterschiedliche Fragen. D.h. sie übernimmt Freuds Wort vom »Rätsel der Weiblichkeit« und leitet daraus eine unabgeschlossene Liste von Fragen ab, die schließlich im Filmtitel als »Riddles of the Sphinx« (Plural!) zusammengehalten werden.
bereits auf der Ebene eines »Metafilms« angelegt. Allerdings fokussieren Mulvey und Wollen nicht allein die Traditionen des Avantgarde-Films (das wäre ein Widerspruch in sich!). Ihnen schwebt vielmehr eine Fortschreibung, d.h. eine »Befreiung des Kinos« insgesamt vor, die auch das Zurücklassen der Unterscheidung von »orthodox cinema« (Hollywood) und »counter-cinema« der Avantgarden (Godard auf der einen Seite und die Coop-Bewegung auf der anderen) umfasst und einen neuen, anderen Begriff vom Kino zu gewinnen sucht, der über Godard/Coop und Hollywood hinausgeht. [8] Mulvey schreibt: »The alternative is the thrill that comes from leaving the past behind without rejecting it … in order to conceive a new language of desire« (Mulvey 1975/1986, 200). Wollen präzisiert, dass »das Kino« (das allgemeine Kino der Zukunft!) diese neue Sprache des Begehrens sein könnte: »the cinema offers more opportunities than any other art – the cross-fertilization … the reciprocal interlocking and input between painting, writing, music, theatre, could take place within the field of cinema itself. This is not a plea for a great harmony, a synesthetic gesamtkunstwerk in the Wagnerian sense.But cinema, … [as] a dialectical montage within and between a complex of codes« (Wollen 1975/1982, S. 104). [9] Wollen schließt seinen Aufsatz mit einer Vorstellung vom Kino, die sich aus einem »complex of codes« zusammensetzt. Diese Formulierung verbindet ihn einmal mehr mit Freuds Überlegungen und Begriffen. Freud hatte (in Auseinandersetzung mit Jung) den allgemeinen Begriff »Vorstellungskomplex« (complex of ideas) aus dem Kontext der freien Assoziation für seine Idee des Ödipuskomplexes umgearbeitet, um die Gesamtheit von Liebes- und feindseligen Wünschen des Kindes gegenüber den Eltern zu beschreiben. Gleichzeitig reduziert er mit diesem Vorgehen die Vielschichtigkeit der Komplexe auf einen Kernkomplex, den Ödipuskomplex. [10] Obwohl sich die Kulturkritik Wollens und Mulveys gerade gegen die Engführung auf einen Ödipuskomplex ausspricht, argumentiert Wollen dennoch ganz ähnlich wie Freud mit einer akzentuellen Verschiebung für einen »Kinokomplex«. In diesem Kinokomplex könnten sich dann nicht nur die unterschiedlichen, einander widerstreitenden Diskurse der Künste begegnen. Auch die unterschiedlichen Auffassungen des orthodoxen
und der Avantgarde-Kinos wären gleichsam in diesem Komplex aufgehoben. Der Gegenbegriff zum Ödipuskomplex, den Wollen zusammen mit Mulvey entwickelt (»Riddles of the Sphinx«), bleibt dennoch offener als der an Freuds Terminologie angelehnte »Kinokomplex«. Dabei erscheint nicht nur im Übergang von Ödipus zu Sphinx eine Schwerpunktverlagerung im Sinne der Geschlechterdifferenz, sondern bedeutungsvoller noch die Verschiebung von Komplex zu Rätsel. Während der Komplex eher eine zusammenfassende einigende Kraft von Widerstreitendem entfaltet, führt die Bewegungsrichtung der Rätsel (etymologisch: lesen, Runen deuten) – nicht der Lösungen! – eher in die Verzweigung und Verstreuung, d.h. ins Heterogene und Vermischte. Gerade diese Richtungsänderung unterstreicht einmal mehr die Nähe dieses Projekts zur Dekonstruktion, wie auch die Hervorhebung der Bedeutung der Zuschauerschaft als Leserschaft, die die feministische Filmtheorie vorangetrieben hat.
Seiten [to flick pages] wie bei einem Daumenkino entstanden. Das Durchblättern der Seiten währt nur ein oder zwei Minuten, dann wird auf einer Seite angehalten, die eine Fotomontage von Greta Garbo als Sphinx zeigt. Damit schließt das erste Kapitel und macht die Grundform des Kino-Konzepts von Mulvey und Wollen sichtbar. Zunächst werden die grundlegenden Elemente des Kinos als Bewegung (Durchblättern) und Stillstand (Standbild) paradigmatisch vorgeführt. Diesem Vorführen korrespondieren zwei unterschiedliche Rezeptionsweisen des Publikums: das flüchtige Zuschauen, das die Konstruktion sinnvoller Bildfolgen nach sich zieht, und das Betrachten, das der Kontemplation und dem langsamen Entziffern näher steht. Gleichzeitig erscheinen darin auch die Elemente, die Mulvey in ihrer Analyse des klassischen Hollywoodfilms hervorkehrt: zum einen die Narration, die sie der Raumtiefe und dem männlichen Helden zuordnet und zum anderen die Kontemplation, die sie der Flächigkeit und dem weiblichen Star assoziiert. »Mainstream film neatly combined spectacle and narrative … The presence of woman is an indispensableelement of spectacle in normal narrative film, yet her visual presence tends to work against the development of a story line, to freeze the flow of action in moments of erotic contemplation« (Mulvey, 1975/1986, 203). Diese Geschlechterdifferenz des »orthodoxen Kinos« (Wollen) gilt es herauszustellen und »in eine Dialektik zu treiben« (Mulvey). Das erste Kapitel von »Riddles of the Sphinx« dient als minimalistische Version und Prototyp dieses kritischen Vorhabens.
Zuschauers oder Fans, das dann in verschiedenen Publikationen abgedruckt wurde. [12] Am Vorspiel, welches Mulvey und Wollen mit Greta Garbo in »Riddles of the Sphinx« inszenieren, lassen sich die drei unterschiedlichen Kinotraditionen, sowie sie sich Wollen als Kinokomplex vorstellte, noch einmal rekapitulieren und schichtenweise abtragen. Die Fotomontage (erstens) fungiert darin als Äquivalent für die Mittel der künstlerischen Avantgarde (deren Fortsetzung Wollen in der Coop-Bewegung sieht). [13] Das Zitieren eines Filmstars im Film (zweitens), das auch Wollen und Mulvey (indirekt) vornehmen, lässt sich mit Godards Counter-Strategien vergleichen, der in seinen (Avantgarde-)Filmen immer wieder mit echten Stars oder auch auftretenden Regisseuren gearbeitet hat; und das statische Bild des weiblichen Stars (drittens), welches die Basis dieser Schichtung bildet, gehört zum Repertoire des klassischen Hollywood-Kinos, sowohl innerhalb des Films, wie es Mulvey als »Gefrieren der Handlung« beschrieben hat, als auch außerhalb des Films zur flankierenden Werbefotografie. In dieser medialen Schichtung erscheint Greta Garbo mehrfach distanziert, gemäß dem zweiten Counter-Konzept»estrangement« von Godard/Wollen. Aber was ist genau der Sinn dieses Verfremdungseffekts, den Wollen mit Verweis auf die Arbeit Brechts für kaum noch kommentierenswert hält? [14] Mulvey hat sich in ihrem Aufsatz ausführlich zur Bedeutung des weiblichen Stars im klassischen Hollywood-Kino geäußert und leidenschaftlich gefordert, dieses Kino herauszufordern und seine Codes zu zerstören. [15] Es ist natürlich eine Binsenweisheit, dass sich Codes resp. Bilder nicht einfach zerstören lassen; die Analogie zur Bilderstürmerei verbunden mit dem gelegentlichen revolutionären Pathos in Mulveys Schriften wirft hier ein zusätzliches Licht auf die eingeschränkte Rezeption ihrer Arbeit. Am Umgang mit Greta Garbo im Film »Riddles of the Sphinx« läßt sich demgegenüber Mulveys Strategie des »passionate detachment«, welches nicht nur den Blick der Zuschauerschaft und der Kamera befreien sollte, als eine Arbeit an den kinematografischen Zeichen studieren. Zunächst kann man anmerken, dass am Bild des weiblichen Stars festgehalten wird. Mulveys anderes Kino verwirft also keineswegs das alte orthodoxe Kino, sondern nimmt es auf spezifische Weise in sich auf. Dies entspricht ihrer
These des »leaving the past behind without rejecting it«. Dieses Festhalten am weiblichen Star ist in historischer Perspektive bemerkenswert, denn das Starsystem des ›orthodoxen‹ Kinos existierte nur bis in die 60er Jahre hinein. Es deutet sich ferner an, dass Mulvey neben dem männlich konnotierten Blick, den ihre theoretische Schrift thematisiert, insbesondere in ihrer Filmarbeit – mit der Metapher der Sphinx – eine spezifisch weibliche Kinorezeption mitgedacht hat. [16] Mulveys Kino verwendet also gerade jenes Moment der Kontemplation des weiblichen Stars als Zitat und markiert es als einen Diskurs. Diesem werden andere Diskurse konfrontiert, die Sphinx, die den griechischen Mythos evoziert und Freuds Diskurs, der Weiblichkeit impliziert, aber auch das eigene Filmprojekt mit seinem Bezug zur Schriftlichkeit, welches gerade seinen Auftakt genommen hat. Soweit handelt es sich um eine Schichtung oder auch Gegenüberstellung von Diskursen.
Sichtbarmachen des Regisseurs parodiert jenes Verhältnis von Regisseur und Star des orthodoxen Kinos, welches auf dem Set (behind the scenes) stattfindet und welches exemplarisch im Verhältnis von Sternberg/ Dietrich als Schöpfer und Geschöpf in der Filmliteratur kolportiert wird. Mit dem »Auftritt« Mulveys kommt es gegenüber Godards Counter-Strategien (mit denen dieser sich in seinen Filmen zu Wort meldet) allerdings zu einer weiteren Verschiebung. In »Riddles of the Sphinx« zeigt der Gegenschuss zum weiblichen Star weder den männlichen Helden, noch dessen Counter-Part, einen männlichen Regisseur. Vielmehr wird in diesem Film eine der zentralen Positionen – die Regisseurin – weiblich besetzt. Mit dieser Einstellung – sie läßt sich tatsächlich als ein revolutionärer Akt deuten – versucht der Film die patriarchale Genealogie der (Hollywood-)Kultur symbolisch oder beispielhaft umzukehren. [18] Die zweite Anschlussmöglichkeit liest Mulvey als Theoretikerin/Darstellerin (Laura speaks, zweite Funktion). Diese Lektüre entziffert keinen Gegenschuss, sondern den Übergang von einer Darstellerin (Greta Garbo, die Schauspielerin) zu eineranderen (Laura Mulvey, die Theoretikerin). Jenes Moment der erotischen Kontemplation innerhalb des Diskurs des »orthodoxen« Kinos (hier das Gesicht der Garbo als Sphinx), wird von einem anderen Diskurs, der feministischen Filmtheorie (der sprechenden Theoretikerin Mulvey) überlagert bzw. abgelöst. Der Übergang von der Fotomontage (montiertes Standbild gefilmt) zur folgenden Einstellung (Laura speaks) erfährt zudem eine zeitliche Dehnung, in der die Darstellerin ›lebendig‹ wird. Die Theoretikerin Mulvey liest eine Art Manifest der Sphinx vor, und ihr Bild alterniert (analog zur Fotomontage) mit Bildern der griechischen und ägyptischen Sphinx: »The sphinx is outside the city gates, she challenges the culture of the city, with its order of kinship and its order of knowledge, a culture and a political system which assign women a subordinate place … We live in a society ruled by the father, in which the place of the mother is suppressed. Motherhood, and how to live it, or not to live it, lies at the roots of the dilemma. And meanwhile the Sphinx can only speak with a voice apart, a voice off … [which] represents, not the voice of truth, not an answering voice, but its opposite: a questioning voice, a voice
asking a riddle«. [19] Es sind nicht die Worte dieses Manifests, die fast 25 Jahre nach Fertigstellung des Films einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es ist vielmehr die lebendige Präsenz Laura Mulveys auf der Kinoleinwand des voll besetzten Kinos Arsenal am 5. April 2001 (auf der Tagung: »Eine andere Kunst – ein anderes Kino«), die sich mir eingeprägt hat. Diese lebendige Darstellung ist im reproduzierten Standbild des Films erloschen. Sie stellt sich aber bezeichnenderweise auch bei einer späteren Sichtung des Films am Schneidetisch nicht mehr ein. Warum löste die Präsenz dieser Theoretikerin auf der Kinoleinwand bei mir ein Gefühl aus, das mich anrührt, wo ich doch die »echten« weiblichen Stars in der Regel nur noch distanziert als geronnene Diskurse wahrnehme? Sicherlich liefert der »Konkretismus« des Kinos [20] in Ton und Bild einige Elemente des Überschusses, für die ich besonders empfänglich bin, z.B. den »sound of Britishness« ihrer verhaltenen Artikulation oder die Margeriten auf ihrer Bluse, die durch den rotstichigen Film eigenartig fern und auratisiert wirken. Möglicherweise ist es ihr/mir aber gelungen, in ihrer Leinwandpräsenz einen Mythos undeine Schaulust zu ›erretten‹, die weniger an einen kinematografischen Code gebunden ist, sondern an körperliche Eindrücke, die von Generation zu Generation weitergereicht werden und dessen direkter Zugang über den Film mit der Historisierung des klassischen Hollywoodkinos unzugänglich wurde. Schließlich lässt sich auch noch die dritte Funktion als Zuschauerin/Kinogängerin denken. Dabei handelt es sich wieder um einen Anschluss der einen außergewöhnlichen Gegenschuss konstruiert. Vom weiblichen Star (auf der Leinwand) wechselt die Einstellung in den Zuschauerraum eines Kinos und setzt entgegen den Kinokonventionen die Phantasie von einer weiblichen, sprechenden Zuschauerin/Kinogängerin (Laura speaks, dritte Funktion) sicht- und hörbar ins Bild. [21] Das andere Kino von Mulvey und Wollen adressiert im zweiten Kapitel folglich drei Aspekte der Geschlechterdifferenz, die Instanz der Regisseurin, die der Darstellerin und die der Zuschauerin. Alle drei Ebenen erscheinen wiederum wie jenes »Palimpsest der multiplen Niederschriften«, das Wollen theoretisch eingeführt hat, welches in diesem Falle aber einer Vielstimmigkeit
der Sphinx, d.h. einer weiblichen Genealogie zugeordnet wird. Der erwähnte Verfremdungseffekt, der am Bild der Garbo vorgenommen wird, zielt auf diese (dreifache) Umcodierung, deren neue Assoziationsketten aber im orthodoxen Kino wie auch im Mythos der Sphinx bereits »vorgeformt« oder zumindest denkbar waren. Diese Umcodierung zeichnet sich daher neben dem revolutionären Moment auch durch ein bewahrendes aus, wenn sich darin tatsächlich etwas von der Kontemplation des weiblichen Stars des klassischen Hollywood-Kinos in diese Filmproduktion der 1970er Jahre und in ihre Aufführung im Jahr 2001 gerettet haben sollte.
Schrifttafeln gefasst ist. Zwischen die einzelnen Schrifttafeln werden 13 Kameraschwenks – 360° Schwenks – eingefügt. Diese Einstellungen unterbrechen den Textfluss und zeigen Louises Leben an unterschiedlichen Orten: Küche, Schlafzimmer der Tochter, Eingangsbereich der Wohnung, Kindergarten, Arbeitsplatz Telefonvermittlung, Kantine, Verkehr, Einkaufszentrum, Spielplatz, Garten ihrer Mutter, (Präsentation der Künstlerin Mary Kelly im Schneideraum des Ex-Manns), Zimmer ihrer Freundin, Ägyptischer Saal des British Museum.
Mutter, ins Zentrum ihrer Kameraarbeit. Die Schaulust wird sowohl im Hinblick auf die sozialen als auch auf die psychischen Räume einer vielschichtigen Person (Louise) ausgedehnt.
tatsächlich wie ein Text der Lektüre zugänglich. Sie überträgt dem Kinozuschauer all jene Möglichkeiten, die sonst nur das Privileg des Studiums eines Films am Schneidetisch bietet. Kapitel sieben zeigt schließlich das Bild eines kleinen Puzzlespiels. Eine Quecksilberkugel muss durch ein Labyrinth von Gängen in das zentrale Feld des Spiels geführt werden. Dieses Spiel mag als Metapher des ganzen Films verstanden werden, der die Darstellung über die Narration stellt, und letztere nicht als seine treibende Essenz sondern als labyrinthisches Vor- und Zurück um der Darstellung Willen interpretiert. Dieses Spiel symbolisiert gleichzeitig die Rätsel der Sphinx, die keine Wahrheit herausfordern, sondern Fragen stellen, also nicht gradlinig in eine Finalität münden (wie der Film seinem Ende zuläuft). Vielmehr handelt es sich wie beim Entziffern eines Textes um ein ständiges Neuansetzen, Neuversuchen, welches über den gradlinigen Lauf der Bilder hinausreicht.
bzw. mit dem Kino. Unter dem Label Dekonstruktion läßt sich die Arbeit an den Codes aber nicht nur bündeln oder zusammenfassen, sie läßt sich vielmehr – auch heute noch – in neue Begegnungen treiben, die mehr als revolutionären Pathos und kinematografischen Befreiungskampf lesbar machen. Jenseits der Frage einer plakativ-begrifflichen Charakterisierung dieser Strategien lässt sich jedoch festhalten, dass Mulvey und Wollen offenbar an einer spezifisch kinematografischen Produktion von »Intertextualität« interessiert sind, die das Textparadigma in einigen Punkten übersteigt. Damit werfen sie nicht nur die Frage der Zitierbarkeit des Films auf, sondern auch die nach dem Wesen des Films/Kinos. Der Zitatcharakter (der unterschiedlichen Kinobezüge) in »Riddles of the Sphinx« zeigt oder liest sich nicht nur als »buchstäbliche« oder »wortgetreue« Wiedergabe (was immer das in bezug auf das Kino heißen könnte!). Er orientiert sich neben den Analogien zu sprachlichen Signifikationsprozessen auch an jenem Phänomen des Films, das Kracauer 1960 als »die Errettung der äußeren Wirklichkeit« mit bezug auf den fotografischen Charakter des Films beschrieben hatte. [23] Allerdings hat sich die Errettung Kracauers, die das Verhältnisvon äußerer Wirklichkeit und Kino umfaßt, gewandelt. Mulveys und Wollens Bezug zur physischen Realität erscheint komplexer, so als ließe sich durch eine Aufnahme von Laura Mulvey hindurch auf ältere Schichten von Erfahrungen blicken (wie z.B. auf die Rezeption eines Hollywood-Stars und zurück auf die griechische Geschichte der Sphinx), und als würde das Kino diese Erfahrung(en) sowohl physisch als auch textuell mitteilen können. Wenn sich mit dem Modell eines anderen Kinos von Laura Mulvey und Peter Wollen schließlich nicht nur die unterschiedlichen Kinotraditionen wie »Rätsel des Kinos« verbinden, sondern auch die unterschiedlichen Diskurse des Kinos (der fotografische, der semiotisch-intertextuelle etc.) einer Begegnung und gegenseitigen Befruchtung zugänglich werden, dann hätte dieses neue Konzept des Kinos seine Möglichkeiten aufgezeigt. Das Kino ist heute aber nicht mehr das Medium mit dem Mulvey und Wollen ihre Hoffnungen noch verbinden konnten, und der Film »Riddles of the Sphinx« ist kein häufiger Gast der Leinwand, sondern er lagert schwer zugänglich in den Archiven. Neben den vielen Vorteilen, die Wollen fürs Kino aufzählte, hat es in seiner Bindung ans Celluloid auch einen
entscheidenden Nachteil, man kann seine Werke nicht einfach aufschlagen wie ein Buch. Es wäre eine Aufgabe für die Zukunft gerade für den Film »Riddles of the Sphinx« – analog zu den Literaturpublikationen – eine historischkritische Ausgabe im DVD-Format zu edieren, die die Arbeit von Mulvey und Wollen im Kontext ihrer theoretischen Schriften zumindest für ein Studium zugänglich macht. Die Möglichkeiten dieses Formats könnten den Film eben auch als »Text« lesbar machen, als Lehrstück, um einen Brecht'schen Begriff zu verwenden oder auch als ein Stück »kinematografischer Ecriture«, um es in den Worten zu sagen, die den Allusionen von Rätsel und Dekonstruktion näher stehen. Eine solche Edition allein kann die Effekte der Leinwandpräsenz natürlich nicht gewährleisten. Hierzu bedarf es nach wie vor der Abspielhäuser, d.h. der Kinos und der kulturellen Gelegenheiten, die einen solchen Film noch einmal zum Ereignis werden lassen.