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»Es gibt kein Zentrum der Signifikanz mehr, das in Beziehung zu expandierenden Kreisen oder einer expandierenden Spirale steht, sondern einen Punkt der Subjektivierung, der den Ausgangspunkt der Linie bildet.« (Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus)
Interpreten etwa den filmischen Variationen dieser Wüstenkonzepte. »Die Suche nach dem Archaischen ist die Suche nach dem Strand unter dem Pflaster«, schreibt Thomas Medicus 1982 in der Filmkritik über die Wüste bei Pier Paolo Pasolini und fährt fort: »Im zeichenlosen Raum der reduzierten Konturen […] wird die reale Wüste zur Metapher des Schicksals, denn hier wie dort ist nur das Notwendige, das Leere und Fülle zugleich enthält, wirklich.«[4] Solche Spekulationen über die existentielle, rhetorische und semiotische Charakteristik (mehr oder weniger) spezifischer Wüstenbilder ließen sich problemlos ausweiten. Aber die Wüste als Gegenstand von Ikonographie und Toposforschung, als »Metapher des Schicksals«, als »langlebige Metapher für Leute, die sich selbst neu erfinden oder am Rande eines fremden, außerirdischen Raums verloren gehen«,[5] soll hier nur insofern interessieren, als sie an den Kreuzungspunkten unterschiedlicher Diskurse in den späten sechziger, frühen 1970er Jahren strukturell-symbolische Funktionen übernimmt. Es ist zuviel über die Wüste geschrieben worden. Wahllos, metaphysisch hat man sie überall entdeckt.In der »landscape perspective« (W.J.T. Mitchell) betrachtet, wird »die Wüste« zum Baustein einer endlosen Komparatistik.[6] Immer neue Aspekte tauchen auf, die durch das Konzept der »Landschaft« strukturiert und kontrolliert werden. Die Wüste – ein kulturhistorischer Themenpark. Andererseits kann nicht genug geschrieben werden über das spezifische Regime der Wüste, die Mischungen, die sie eingeht: mit politischen Programmen und ästhetischen Praktiken; mit Kitsch, Ideologie, Religion und anderen Elementen, die aus dem Diskurs über die Landschaft auch einen Diskurs über Subjektivierung und deren Krise machen können. Denn die Wüste, als kulturell produzierter Raum ebenso wie als Natur-»Ereignis«, ist gleichermaßen ein Gebiet der Selbstfindung und der Erschütterung von Identität. Die Wüste ist bedrohlich, aber man kann auch mit der Wüste drohen. Im Gang in und durch die Wüste (und von ihr ausgehend) lässt sich eine Epistemologie entwickeln, die das Denken von Gesellschaft und Stadt gefährlich überschreitet. Diese kritische Epistemologie der Wüste (die u. a. auf eine Krise des Subjekts zurückführbar ist) kann sich in einer besonderen Art des Wüsten-Snobismus manifestieren (die u. a. das
Ergebnis eines Regenerationsprozesses des erschütterten Subjekts darstellt). Oder in einer jener »speziellen Beziehungen zwischen Mensch, Maschine und Wildnis«, auf die der Architekturhistoriker Reyner Banham in seinem Buch über »the Great American Desert« verweist.[7] Um zwei derartige Dispositive soll es im Folgenden gehen: In ihnen verschränken sich Topografie und Technologie, Handlungsmodelle und Zerfallsszenarien, das Politische und das Filmische.
Bühne von befreiter Liebe und ungebundener Körperlichkeit. Wie Antonioni diese Befreiung inszeniert (nämlich als ätherischen Werbeclip für das Weltanschauungsprodukt »Free Love«), kann man allerdings zu dem Urteil gelangen, dass es sich hierbei um »the ultimate in the pretentious bluff« handelt, um »ideology at its worst«, wie Slavoj Zizek findet.[8] In der Tat scheint Antonioni zu bluffen, wenn er vorgibt, die Beweggründe und Perspektiven der amerikanischen Gegenkultur verstanden zu habe. Seine detaillierten Kenntnisse des entfremdeten italienischen Bürgertums, das an einem »kranken Eros« (Antonioni) leidet, kommen hier in einem Umkehrschluss zur Anwendung.[9] Schon während der Dreharbeiten wurden Antonionis sozialrevolutionäre Ideen über die Hippie-Jugend und ihre destruktiven, polymorph-perversen, antireformistischen Motivationen publik gemacht. Monate, bevor Metro-Goldwyn-Mayer »Zabriskie Point« am 9. Februar 1970 in die Kinos brachte, wurden die Erwartungen an den Film und Antonionis »bizarre vision of our youth« (Look, 23. November 1969)[10] in der Vorberichterstattung geschürt.[11] In einem Interview mit Charles Thomas Samuels von 1969 vergleicht derdamals 57-jährige Antonioni die Hippies mit den Magie-gläubigen Bauern aus Calabrese, denen er 1949 die Dokumentation »Superstizione« gewidmet hatte: »Ich glaube, diese Ähnlichkeiten hängen mit dem Begehren der Hippies zusammen, die gegenwärtige Gesellschaft nicht zu reformieren, sondern zu zerstören, und damit in die Vorzeit zurückzustoßen, zu einem ursprünglicheren, reineren, weniger mechanischen Leben […].«[12] So gehen die Phantasien ›Zivilisationsflucht‹ und ›Zivilisationsvernichtung‹ Hand in Hand. Die psychedelischen Slow-Motion-Explosionen der modernistischen Wüsten-Villa (zu »Come in Number 51, Your Time Is Up« von The Pink Floyd) am Ende des Films werden an die Aufführung der kollektiven Ekstase der »Love Scene« im Death Valley zurückgebunden. Die Stichworte lauten: tabula rasa, Neuanfang, Urgesellschaft, Neoprimitivismus.
Wüste als ›leer‹, und er füllte diese Leere mit einem Wüstentrainingszentrum, das 16.200 Quadratmeilen groß war.«[13] Ebenfalls in der Wüste des Südwestens wurden die Atombombentests der vierziger Jahre durchgeführt. Ereignisse und Aktionen in der »leeren« Wüste, heißt das auch, bleiben ohne Konsequenzen. Mensch und Material werden auf den Krieg vorbereitet; die Wüste dient als Arena des Probehandelns. Im Prinzip übernehmen Antonioni und die anderen Regisseure der Wüste dieses geostrategische Verständnis. Nur sehen sie in der Wüste kein Übungsgelände für militärische Waffensysteme, sondern ein Testfeld (mehr oder weniger explosiver) Lebensentwürfe. Die Wüste als Labor: Experimentiert wird mit existentiellen, ästhetischen und sozialen Modellen. Wobei die Wüste eine besondere Form der Deterritorialisierung zivilisatorischer Ordnungs- und Raumvorstellungen verspricht. Gilles Deleuze und Félix Guattari unterscheiden zwischen einem »gekerbten«, begrenzten Raum und einem »glatten«, entgrenzten Raum. Der »glatte« Raum, das ist die Wüste, die Steppe oder das Meer. Er wird bewohnt und besetzt durch dieNomaden. »Die Nomaden sind da, auf der Erde, wann immer sich ein glatter Raum bildet, der alles zerfrisst und sich in alle Richtungen auszubreiten versucht. Die Nomaden bewohnen diese Orte, sie bleiben an diesen Orten und lassen sie in dem Sinne wachsen, wie man sagt, dass die Nomaden ebenso die Wüsten schaffen, wie die Wüste sie geschaffen hat. Sie sind ein Deterritorialisierungsvektor.«[14] Den Nomaden in der Definition von Deleuze und Guattari entspricht die indianische Urbevölkerung, für die Zabriskie Point im Death Valley ein mythischer Ort ist. Sie sind keine Touristen oder Stadtflüchtlinge, keine »Sesshaften« oder »Migranten«, sondern Role-Models der Hippiekultur bis in ihre exzessiven Verästelungen hinein: Suchte nicht Charles Manson 1968 im Death Valley obsessiv nach einem geheimnisvollen Wüstenvolk? Stundenlang harrte Manson vor Erdlöchern aus und wartete auf ein Lebenszeichen dieses Volks, das der Hopi-Mythologie zufolge in einer unterirdischen »dritten Welt« lebt.[15]
mittelständischen Jugend und den prekären Umständen einer proletarischen Existenz fliehen die Protagonisten in die Wüste. Dort finden sie die Orgie, die Zerstörung, aber auch die Vision einer neuen Kollektivität. Antonioni assoziiert mit »seinen« Hippies das Projekt einer anarchistischen Aufkündigung territorialer Festlegungen und politisch-ideologischer Verträge. Eingrenzungen werden aufgehoben, Räume jenseits von modernen Besitzansprüchen und kulturellen Prägungen entstehen. Es lockt das Bild einer ursprünglicheren Form des Zusammenlebens. »Zabriskie Point« versucht, die Idee dieses anderen Sozialen mit Anschauung zu füllen. Tritt gar jenes »künftige Volk« in Erscheinung, das mit der bevölkerten Einsamkeit der Wüste verknüpft ist?[17] Deleuze hält die Frage nach dem »Volk, das fehlt« (und immer schon unterdrückt ist), die Frage nach diesem »Gegenteil« des »Staates«, für die Grundfrage des modernen »politischen« Films.[18]
Luft, fahren schnurgerade einsame Wüsten-Highways entlang. Ihre motorisierten Fluchtlinien werden immer wieder unterbrochen: durch Benzinmangel, Sex, Polizisten. Aber soviele unterschiedliche Gangarten und Transportformen auch gewählt werden: Der Weg in und durch die Wüste ist unwiederbringlich gepflastert mit den Klischees der Gegenkultur, den Modellen der Immobilienspekulanten und den Anlagen des Tourismus. Die Wüste als »natürliche« Situation des Nomaden wird zur natürlichen »Architektur« der städtischen Wüstenreisenden. Die Wüste als vermeintlicher »Raum der Authentizität« (Neal Ascherson)[21] erweist sich als Zeichenraum, als ideologischer Raum und als mediascape, als medialisierte Landschaft, als »vierte Natur«.[22]
Wüsten- Poeten des 20. Jahrhunderts, vor allem Pilot? Die Perspektive des Flugzeugs, des Hubschraubers oder des Satelliten ist überdies eine zutiefst männliche – das unterstreicht auch »Zabriskie Point«: Während die Frau am Boden in einem alten Auto durch die Wüste fährt, erhebt sich der Mann im gestohlenen Privatflugzeug über das Gelände. Die Filmzuschauer fliegen mit, erhalten die Möglichkeit, die Landschaft als geographischkartographisches Relief zu erleben. Am Boden müssen hingegen immer wieder Landkarten bemüht werden, um die fehlende Aufsicht zu kompensieren und Orientierung zu ermöglichen.
Projekts wichtig waren;[26] man sieht einen Mann (Smithson selbst), der über die vollendete Spiralmole läuft, verfolgt von der Kamera; irgendwann erhebt sich der Kamerablick, Hubschraubergeräusche setzen ein, in kreisenden Bewegungen steigt die Kamera in die Höhe, während Smithson weiter laufend, stolpernd, hüpfend die ca. 470 Meter der Aufhäufung absolviert; die Abendsonne bricht an, die Kamera blinzelt ihr zu, sämtliche Lichtverhältnisse werden durchgespielt; das Bild der Sonnenexplosionen, mit dem der Film angefangen hat, wird durch die Gegenlichtaufnahmen der Sonne am Ende wieder aufgenommen; die letzte Einstellung zeigt ein Foto des Schneideraums, in dem der Film geschnitten wurde; an der Wand hängt ein Foto der Erdskulptur »Spiral Jetty«, auf das die Kamera zoomt. Der Film wird aus dem Off durch die Geräusche von Fahrzeugen und Hubschraubern sowie die Stimme von Smithson ergänzt. Letztere liest Texte aus naturwissenschaftlichen, kartographischen, literarischen Werken. Diese zusätzliche diskursive Schicht fügt sich zur Ebene des visuellen Filmmaterials, das seinerseits aus unterschiedlichen Quellen stammt und unterschiedlichen Status besitzt. So werdenverschiedene diskursive Felder collagenhaft kontrastiert und verknüpft – zu einem jener »Haufen Sprache«, die für Smithson die krude Materialität des Diskursiven bezeugen.[27]
Wüstengelände auseinanderlegt, montiert und nach Smithsons präzise ausgearbeiteten Storyboard- Vorgaben komponiert werden. »Zabriskie Point« und »Spiral Jetty«? Eine andere Kunst, ein anderes Kino – sicher … Zudem zwei äußerst unterschiedliche Konzeptionen von »Wüste«: hier die weiße Sandwüste des Death Valley, dort die weit weniger »kinematographische« Salzwüste des Great Salt Lake. Aber die beiden Filme formieren sich trotzdem zu einem interessanten Ergänzungsverhältnis (das sich nicht nur der historischen Koinzidenz verdankt[28]). Beide partizipieren an einer Re-Diskursivierung der Wüste als cinematischer und künstlerischer Option um 1970; ihre sehr unterschiedlichen Herangehensweisen könnten Aufschlüsse darüber geben, wie die Wüste sich einerseits immer mehr vom Motiv zum Dispositiv veränderte, andererseits aber auch zum Ort und zur Funktion eines gesellschaftlichen und ästhetischen Projekts erwählt wurde. Die Wüste (désert, desert) in ihrer Funktion als Ort, in den man desertiert, ist auch ein Ort des Politischen, und sei es in der Verweigerung jener Artikulation des Politischen, die am Anfang von »Zabriskie Point« in der Diskussion zwischenStudentInnen und Black-Panther-VertreterInnen gezeigt wird. Der Politisierungsdruck in den USA um 1970 war hoch, Vietnam, Bürgerrechtsbewegung, das sich abzeichnende Ende des Summer of Love, Kent State … Diese Verschärfung und Verdüsterung der Lage betraf in zunehmendem Maße auch die Kunstwelt. Diskussionen um die gesellschaftliche Funktion der Kunst und ihrer Legitimation angesichts von Krieg, Rassismus und sozialen Bewegungen erreichten schließlich sogar die Bastionen eines selbstreferentiellen und a-politischen Modernismus.
Robert Smithson und Lawrence Weiner abgedruckt.[30] Smithson spießt in seiner Antwort ironisch einzelne Formulierungen der Anfrage auf, verweist auf den religiösritualistischen Charakter von politischem Engagement und revolutionärer Gewalt und entwirft apokalyptische Szenarien des Verfalls, der Anomie, der Entropie, der teuflischen Unausweichlichkeit also, mit der Politik, Gewalt und die Zerstörung der Erde zusammenwirken. Der desillusionierte Ton entspricht einer vermeintlich konservativen Position. Dan Graham spricht später von Smithsons Strategie der »Inversion«, der rhetorischen Umkehrung eines vorherrschenden humanistischen Liberalismus: »Bob war ein Politiker, und er hatte einen Instinkt für das Politische. Wenn er während der optimistischen sechziger Jahre eine rechte Position einnahm, geschah dies als Korrektiv eines adovcatus diaboli.« [31] Smithsons politische Agenda war ambivalent: Er begab sich in eine langwierige Auseinandersetzung mit der Ökologiebewegung, die der earth art sehr reserviert gegenüber stand, suchte aber auch den Konflikt mit der Bergwerksindustrie und deren Begriff von Landschaft und Natur.[32] Smithsons »criticality«[33]besteht nicht nur aus einer Strategie des Antizyklischen; er ist eher – auf sehr prononcierte Art – ein Anti-Politiker, der seine Beziehung zum Politischen und zu den aktivistischen Optionen der späten sechziger, frühen siebziger Jahre einer ständigen Prüfung unterzieht. Immer wieder versuchte er, dieses Verhältnis in ein anderes (subjektives, literarischpoetisches, philosophisches) Diskurs-Register zu übertragen. Politisches Handeln gerät dabei in den Sog der zentralen Smithson-Metapher des Strudels (whirlpool). Seinem Beitrag zur Artforum-Umfrage hatte Smithson mit dem Titel »Art and the Political Whirlpool or the Politics of Disgust« überschrieben (den die Redaktion bei der Publikation allerdings fortließ): »Die Aktionen schwirren so rasend schnell um einen herum, dass sie stillzustehen scheinen. Von einer tieferen Ebene der ›immer tieferen politischen Krise‹ aus laufen die besten und die schlechtesten Aktionen zusammen und umkreisen einen mit der Trägheit eines Strudels. Ohne je auf Grund zu stoßen, fällt man endlos in eine Art politischer Zentrifugalkraft hinein, die das Blut von Greueltaten auf diejenigen verspritzt, die für den Frieden arbeiten. Das Grauen wird so mächtig, so
beklemmend, dass man von einem Gefühl des Ekels überwältigt wird.«[34] Ein von Bataille und Sartre inspirierter »Existenzialismus« verwirft hier Politik als Zumutung, als traumatisierende Gewalt, von der jede gutgemeinte Tat aufgezehrt und transformiert wird (was nicht zuletzt ein Problem des Konzepts der guten Absicht ist). Zugleich verfolgt Smithson aber gerade das Prinzip der entropischen Prozesse von Entgrenzung und Zerfall. Seine Kritik der Konzeptionen politischen Engagements richtet sich dagegen, künstlerische Zeit und ästhetische Aktivität einer ihr fremden Disziplin zu unterwerfen. Zugleich ist seine Position nicht eine der bloßen Transgression, der Überschreitung von Sinn und Rationalität in der jouissance. Vielmehr leitet sein Denken eine Dialektik von Kontingenz und Konsolidierung.[35] Handlungsfähigkeit und Subjektivität werden auf die Probe gestellt, an ihre Grenzen gebracht, aber nie verworfen.
dehumanization, dematerialization, Dekonstruktion. Die Wüste löst auf, trennt, entfernt. Besonders der Begriff der »Desintegration« gewinnt für die Beziehung von Wüste und Wahrnehmung an Bedeutung. In »A Sedimentation of the Mind: Earth Art«, einem Essay von 1968, leitet Smithson, der nie auf ein erlesenes Motto oder Zitat verzichten konnte, einen Abschnitt zum Begriff der Wüste mit zwei kurzen Zitaten ein.[37] Das erste lautet: »The world disintegrates around me« und ist einem Statement entnommen, das Yvonne Rainer im März 1968 dem Programmheft ihres Stücks »The Mind is a Muscle« beifügte. Der Satz steht im Kontext einer kurzen Selbstvergewisserung, in der Rainer die Position ihrer künstlerischen Arbeit reflektiert – im Verhältnis zu einer »Welt in der Krise«, in der das Fernsehen zeigt, wie ein Vietnamese erschossen wird, und eine militärische Organisation des Feminismus zu erwarten sei.[38] Das zweite Zitat lautet: »By Palm Desert springs often run dry.« Smithson hat es der Rückseite der Hülle von »Song Cycle« entnommen, dem ersten Soloalbum von Van Dyke Parks, einem ehemaligen Hollywood-Kinderschauspieler und jungen Songwriter-Genie aus Los Angeles, das bereits mit Brian Wilson vonden Beach Boys kooperiert hatte.[39] Es handelt sich um eine Textzeile aus dem Song »Palm Desert«, der das alte Hollywood mit den industriellen »banks of toxicity« in Beziehung setzt, einen Zerfall und ein Verblassen der frühen Filmära und deren Ersetzung durch Luxus-Wüstenoasen wie Palm Desert andeutet: »Meanwhile in the wild west of Hollywood age is losing hold.« Die »desintegrierende/zerfallende Welt« der New Yorker Künstlerin Yvonne Rainer ist die Wüste des Politischen, die Smithson zwei Jahre später, in seiner Antwort auf die Artforum-Umfrage, im Bild des lähmenden, abscheuerregenden Strudels fasst. Der Verlust des Alters bzw. Zeitalters und der Hinweis auf die austrocknenden Brunnen bei Van Dyke Parks thematisieren u.a. kalifornische Bodenpolitik und Umweltvergiftung. Zwei Sorten Wüste mithin: die Wüste des Politischen und die politisierte Wüste. Als diskursives Territorium bildet sie eine Art Schnittstellen-Topographie zwischen Moderne und Postmoderne, eine »Projektionsfläche« nicht nur für psychische und kulturelle Zustände, sondern auch für verschiedene Auffassungen von Natur, Landschaft, Humanismus, Subjektivität.
zwischen Zirkularität und nomadischer Vektoralität vermittelt. Ebenso wie verwandte mäandernde, labyrinthische und pyramidiale Strukturen. Von spiralförmigen Fossilien bis zu den Nebelspiralen der Astronomie bleibt kaum eine Spielart unberücksichtigt. Smithson verweist auf jenen alten indianischen Mythos, demzufolge sich unterhalb des Great Salt Lake ein Strudel befindet, der eine unterirdische Verbindung zum Pazifik herstellt und damit die Merkwürdigkeit eines riesigen Salzsees im Landesinneren erklärt. Während das Bild einer Karte des Nordwestens von Utah zu sehen ist, einem Gebiet, das einst vom Lake Bonneville bedeckt war, verliest Smithson im Film »Spiral Jetty« aus dem Off einen Abschnitt aus einem Handbuch über die Geologie von Utah. Der Text berichtet, dass sich die Überzeugung von der Existenz eines gefährlichen Strudels erst in den 1870er-Jahren verflüchtigt habe.[44] Der Metaphernkomplex Spirale/whirlpool greift weit aus, erfasst unterschiedliche Wissensbereiche und historische Zeiten. »Indem er die Spiralform benutzt, um den mythischen Strudel der ersten Siedler nachzuahmen, inkorporiert Smithson die Existenz des Mythos in denRaum des Werks«, schreibt Rosalind Krauss. [45] Smithson konzipiert die Spirale als eine paradoxe Figuration der Defiguration. Sie wird zum Sinnbild einer Geometrie der Entropie. Und je nach Kontext kann es in ihren destruktiven oder befreienden Potentialen erkannt werden. Fast möchte man von einer Moral der Spirale sprechen. Einer Moral, die zwischen produktiven und destruktiven Verwirbelungen unterscheidet.
Subjektivität ist nicht ohne Bild und Kostüm. Auf einem Foto, das Nancy Holt 1968 gemacht hat, fotografiert Robert Smithson in der kalifornischen Wüste am Mono Lake seinen Künstlerkollegen und Freund Michael Heizer. Die beiden drehten hier einen Super-8-Film und hatten sich mit ortsspezifischer Garderobe ausgestattet – mit Blue Jeans (Hose und Jacke), Stiefeln und weißen Hüten, als kinogerechte earth art-Cowboys, als Pioniere auf dem Weg zu einer neuen frontier (oder ins Gelobte Land, nach Kalifornien). Im gleichen Jahr 1968 relativiert Smithson, die »cinematische ›Erscheinung‹« habe irgendwann in den späten 1950er Jahren vollkommen überhand genommen. Er greift eine Bemerkung von Vladmir Nabokov über die »selbstzerstörerische Postkartenwelt« auf: Was man gemeinhin »Natur« nenne, sei mittlerweile in eine unendliche Zahl von »Filmstandbildern« transformiert worden.[47] Fotografie macht Natur obsolet.[48] Ein Jahr zuvor, in »A Tour of the Monuments of Passaic, New Jersey«, seinem Bericht von einem Ausflug in eine gänzlich unspektakuläre, »hässliche«, vergessene, zersiedelte, »postindustrielle« Gegend außerhalb von New York (eine »Utopie ohne Boden«), ist Smithsonschon einmal alles zum kinematischen Bild geworden. Die ausgezehrte Industrielandschaft mit Abwasserrohren und ausrangiertem Gerät (Antonionis »Il Deserto rosso« ist nicht fern), umschloss ihren Besucher wie ein Film. »Als ich über die Brücke ging, war es, als ginge ich auf einer riesigen Fotografie aus Holz und Stahl, und der Fluss unter mir war ein riesiger Kinofilm, in dem nichts zu sehen war, nur eine kontinuierliche Leere.«[49] Die suburbane Brachlandschaft wird nicht nur zur Kulisse, sondern selbst kinematisch, medial, ohne dass Smithson Kategorien wie »Traum« oder »Phantasie« bemühen würde. Die Distanz zwischen filmischer Visualisierung und Visualisiertem ist aufgehoben. Das letzte dieser filmischen »Monumente«, die Smithson auf seiner Tour aufsucht, ist eine Sandkiste auf einem Spielplatz. Er nennt sie »Modell-Wüste«: »Unter dem toten Nachmittagslicht von Passaic wurde die Wüste zu einer Landkarte des unendlichen Zerfalls (disintegration) und Vergessens. […] Jedes Sandkorn war eine tote Metapher der Zeitlosigkeit, und durch die Entzifferung solcher Metaphern käme man auf die andere Seite des falschen Spiegels der Ewigkeit.«[50] Die armselige
Sandkiste (»ein offenes Grab«/»an open grave«) repräsentiert eine abwesende dystopische Wüste, die aller transzendentalen oder idealistischen Aspekte beraubt ist.
dass aber zugleich die Grenzen des Films die Grenzen der Dezentrierung anzeigen, unterscheidet seine Reflexion über Entgrenzung und Desintegration wesentlich vom Entgrenzungsdiskurs anderer Kinematographen der Wüste.
jeweils aus der einen »Wüste« in die andere »Wüste« herüberschaffen (übersetzen), könnte verschiedener nicht sein. Wo Snows (weitgehend) enthumanisierte Kameraschwenks und -fahrten ganz den technischen Bedingungen des Kameraroboters gehorchen, der »menschliche Faktor« auf die Konstruktion der Maschine, ihre Programmierung, die Auswahl des Standorts und Entscheidungen im Schnitt bei der Reduktion von sechzig auf drei Stunden beschränkt bleibt, ist bei Smithson eine vielteiligere Mischung ästhetischer Entscheidungskriterien zu finden. In einem erst postum veröffentlichten Text von 1971 berichtet Smithson von seinen Erfahrungen mit der »Wildnis des Kameralands«, von der »Wildnis, die die Kamera erzeugt«. Smithson kann sich nicht recht begeistern. Kameras besäßen ein Eigenleben, es sei unschwer möglich, sich eine »Unendliche Kamera ohne jedes Ego« vorzustellen.[59] Smithson phantasiert über einen Horrorfilm mit dem Arbeitstitel »Invasion of the Camera Robots«, in dem zyklopische Kameras ihre Schreckensherrschaft in einem Fotofachgeschäft errichten würden. Die große Frage lautet: Wie geht man mit der unvermeidlichen, zugleich produktiven undzerstörerischen Präsenz von Kameras, von Abstraktionsmaschinen um? Wie verhält sich die Kunst/der Künstler zur Kamera? Keine Lösung. Oder doch? Michael Snows »Wavelength« etwa findet Smithsons Beachtung: Diesem Film sei es immerhin gelungen, den Ozean in einer Fotografie einzutrocknen. Interessiert zeigt sich Smithson auch darüber, dass Snow mit einer »deliranten Kamera eigener Erfindung« in die tatsächliche Landschaft hinausgehe.[60] Damit produziert Snow eine Kamera-Wildnis, die Smithson gleichzeitig suspekt und willkommen sein musste. Gegen Ende seines Textes räumt Smithson indirekt ein, dass die wilden Kameras bei der Arbeit an der Entgrenzung und Dezentrierung der Erzählmuster einer Gesellschaft erheblichen Anteil haben könnten. Diese Überlegungen, elliptisch vorgetragen, stellen eine von Gegen-Narrativen infizierte Form des filmischen und fotografischen Diskurses in Aussicht. Eine Aussicht, die auch die radikale Zergliederung des Subjekts der Wahrnehmung mit einschließt.
Stadt heraus und studieren die Landschaft, sondern besuchen die Kinos der 42nd Street. Dort schauten sie sich Filme wie »Horror at Party Beach« (Del Tenney, 1964) oder andere Trashproduktionen aus dem Horror- oder Science- Fiction-Genre an. »Derartige Künstler haben Röntgenaugen, sie durchschauen diese ganze klumpige Masse, die heutzutage als ›tief und profund‹ durchgeht.«[64] Die »Röntgenaugen«[65] ermöglichen den Künstlern alles Aufgesetzte und die leere Sophistication zu durchschauen. Mit ihrem technisch-wissenschaftlich entwickelten Sensorium durchdringen diese modernen Primitiven die kulturellen Prätentionen der High-Brow-Haltung. Science Fiction und Horror immunisieren gegen die Versuchungen der vermeintlichen »Hochkultur«. Der Röntgenaugen-Künstler ist ein Cyborg, der die Seele und den Sinn nicht vermisst und sich stattdessen dem Studium der Geomorphologie der low culture widmet. Für das Verständnis von Smithsons Kulturtheorie ist dieses (Selbst-)Bild eines post-humanen Primitiven mit optischen Prothesen nicht unwichtig. Es bleibt nicht die einzige Persona, die sich der Künstler zulegt, aber diePositionierung außerhalb der kulturellen Wertegebäude und humanistischen Subjektokonzeptionen ist Teil eines Programms der Entdifferenzierung von historisch und sozial »gemachten« Hierarchien. Dabei sind diese Röntgenaugenkünstler durch ihre Vorlieben konditioniert: wer Horror mag, ist eher der emotionale Typ, wer sich zu Science Fiction hingezogen fühlt, erhält das Attribut »perceptive«. Für sein Bild vom Künstler-im-Kino verwirft Smithson Annahmen von Autonomie und Freiheit, also auch die idealistischen Aspekte der Philosophie des Subjekts. Man könnte von einer Prozedur der Aushöhlung sprechen, von der systematischen Herstellung einer zentrumslosen Leere, von einer Bewegung auf den »Nullpunkt«, den degré zero hin, die sich im Zentrum Nachkriegsmoderne vollzieht – bei Roland Barthes, Samuel Beckett, John Cage, Andy Warhol, J.G. Ballard und vielen anderen. Smithson quälen dabei kaum Verlustängste. In zwei Texten aus der Zeit um 1967/68 feiert er etwa das Ende der Charakter-Schauspielerei bei Alfred Hitchcock und Roger Corman. In den Filmen der beiden Regisseure würden sich die Schauspieler wie Androiden in einer Kulisse aus zeitloser Artifizialität bewegen.[66] Und dem entleerten Schauspieler steht
komplementär der entleerte Zuschauer gegenüber. In den Kastenräumen bzw. »Dunkelkammern« der neuen minimalistischen Kinoarchitekturen der sechziger Jahre werde die Zeit komprimiert und angehalten; der Zuschauer werde mit einem »entropischen Zustand« versorgt. »Zeit in einem Kino zu verbringen heißt, ein ›Loch‹ in sein Leben zu schneiden.«[67] Diese Entleerung oder Perforierung des Zuschauerlebens in den kinematischen Druckkammern der Zeit kann auch als eine Zombifizierung verstanden werden. Der Mensch im Kino wird herausgelöst aus der Zeit. Er verliert seine humane Temporalität, wird untot. Damit ähnelt er den Robotern und Automaten in den Filmen von Hitchcock und Corman, aber auch den passiven Gestalten modernistischer Entfremdungsästhetik bei Antonioni, die von ihrer artifiziellen, entemotionalisierten Umgebung derealisiert und ausgehöhlt werden. Für den französischen Film- und Kunsttheoretiker Jean Louis Schefer ist der »gewöhnliche Mensch des Kinos« der »dasitzende Mensch, der virtuelle Pol des kinematographischen Apparats und Bildes«. Im Kino sitzend lebt er »ganz und gar das momenthafte Lebeneines inchoativen Menschen«, das heißt, eines Menschen am Anfang, der nicht anders kann, »als mit einer Entwöhnung und einer Art von Ent-Wohnung der Welt zu beginnen.«[68] Das Kino lässt die »Welt in uns verschwinden«, unseren Schwerpunkt verlieren. Es amputiert uns als moralische Wesen.[69] Mit anderen Worten: Wir werden zu elternlosen Replikanten, kontrolliert von einem Automaten, der in uns wirkt oder hinter uns steht, und uns im phantomalen Zustand einschließt. Der totale Kontextverlust im Kino, die Abtrennung von Biografie und Biologie, das Eintreten in die Zeitlosigkeit: Smithsons »ultimate film goer« scheint der inchoative Mensch schlechthin, ein »Gefangener der Trägheit«: »Film um Film würde sich vor ihm abspulen, bis alle Filmhandlungen in einem immensen Reservoir der reinen Wahrnehmung versänken. Er könnte nicht zwischen guten und schlechten Filmen unterscheiden, alles würde verschluckt in endlosen Trübungen und Verläufen der Bilder. […].«[70] Ein solches Vegetieren in der multimedialen Tropfsteinhöhle ist der Abschluss der Rezeption. Ein Trancezustand ohne Erlösungsperspektive, das Gegenteil auch der
keimenden anarchischen Aktivität, die die Jugendlichen in »Zabriskie Point« von den passiven bourgeoisen Zombies in den »beliebigen Räumen« früherer Antonioni-Filmen unterscheidet. In letzter Konsequenz bedeutet die Position des inchoativen Menschen die Katastrophe einer totalen, phantasmatischen Auflösung von Innen und Außen. Smithson nimmt ungerührt und unbesorgt zur Kenntnis, wie jene desintegrierenden Kräfte überhand nehmen, die er als die unausweichliche Entropie des Imaginären betrachtet. Das Rechteck der Kinoleinwand bündele und rahme den Flux der Bilder zwar – jedoch nur für kurze Zeit. Dann tritt wieder die »cinematische Atopie« ein, die mit Deleuze und Guattari auch »Chaosmos« genannt werden könnte.[71] Der Kinogänger würde schließlich einschlafen, sein Bewusstsein ausschalten und die Schwerkraft der Wahrnehmung zunehmen. »Wie eine Schildkröte, die über den Wüstensand kriecht, würden seine Augen über die Leinwand kriechen.«[72] Jetzt kann eine Politisierung beginnen, die ohne Territorium, auch ohne die Wüste-als-Landschaft auskommt. Die Leinwand-Wüste ist der glatte, haptische Raum eines anderen Kinos.