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Themenicon: navigation pathKunst und Kinematografieicon: navigation pathMulvey/Wollen
 
 
 
 
 

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und der Avantgarde-Kinos wären gleichsam in diesem Komplex aufgehoben. Der Gegenbegriff zum Ödipuskomplex, den Wollen zusammen mit Mulvey entwickelt (»Riddles of the Sphinx«), bleibt dennoch offener als der an Freuds Terminologie angelehnte »Kinokomplex«. Dabei erscheint nicht nur im Übergang von Ödipus zu Sphinx eine Schwerpunktverlagerung im Sinne der Geschlechterdifferenz, sondern bedeutungsvoller noch die Verschiebung von Komplex zu Rätsel. Während der Komplex eher eine zusammenfassende einigende Kraft von Widerstreitendem entfaltet, führt die Bewegungsrichtung der Rätsel (etymologisch: lesen, Runen deuten) – nicht der Lösungen! – eher in die Verzweigung und Verstreuung, d.h. ins Heterogene und Vermischte. Gerade diese Richtungsänderung unterstreicht einmal mehr die Nähe dieses Projekts zur Dekonstruktion, wie auch die Hervorhebung der Bedeutung der Zuschauerschaft als Leserschaft, die die feministische Filmtheorie vorangetrieben hat.

4. Der Film als Textfilm

Der Film beginnt mit einer Inhaltsübersicht, der die

 

nummerierte Gliederung des Films in sieben Kapitelüberschriften in einem Bild zusammenfasst. Die Zuschauer werden als Leser empfangen und eingeführt in die Ordnung eines Buches, so als wollte der Film selbst uns schriftlich mitteilen: Dies ist ein Textfilm! Dieser Ausgangspunkt ist im Grunde von Godard ›übernommen‹. Wollen hat diese Kapitelstruktur eines Films, die von der Literatur ausgeborgt ist, in seinem Aufsatz über Godard als erstes der sieben Elemente (eine der Todsünden des orthodoxen Kinos!) unter dem Stichwort »narrative intransitivity« diskutiert (Wollen, 1972/1982, 80f). Es diente Godard dazu, Unterbrechungen in die Erzählfolge einfügen zu können. Das erste Kapitel von »Riddles of the Sphinx« (Flicking pages) thematisiert und zeigt das Durchblättern von Seiten. Nicht nur die Einführung, sondern auch dieser erste Teil des Films konfrontiert uns (die Zuschauer) mit der Ordnung der Schrift. Dabei handelt es sich um den einzigen gänzlich stummen Teil des Films, als wollte dieser sich in seiner Lautlosigkeit einmal mehr dem Medium Schrift anverwandeln – oder behaupten, das Kino [colloq. engl.: flick = Kinofilm, at the flicks = im Kintopp] sei aus dem Durchblättern von

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